Murnau – Vor ein paar Jahren ist Pfarrer Siegbert Schindele einmal zu Fuß durch Frankreich gereist. In letzter Zeit denkt er oft daran zurück. Wegen der vielen leeren und verfallenen Kirchen, die er damals entdeckte. Er macht sich Sorgen, dass dasselbe in Oberbayern passieren könnte. Und dafür muss der Murnauer Pfarrer nicht weit in die Zukunft blicken. An diesem sonnigen Wintertag steht er vor dem Ramsachkircherl, im Volksmund Ähndl genannt. Es könnte die älteste Kirche Oberbayerns sein, sie stammt vermutlich aus dem 7. Jahrhundert. Und seit einigen Jahren ist auf den ersten Blick erkennbar, wie alt dieses kleine Gotteshaus im Murnauer Moos wirklich ist. Besonders an den Außenfassaden fällt der Putz ab – teilweise großflächig.
Pfarrer Schindele hat sich wegen dem Ähndl schon oft an seine Diözese gewandt. Doch für die Renovierung ist kein Geld da. „Das ist auch eine Nachwirkung der vielen Kirchenaustritte“, sagt er. Wenn Einnahmen fehlen, muss bei der Renovierung von Kirchen priorisiert werden. Die Kirche investiere vor allem in Gebäude, die für den pastoralen Dienst bedeutend sind, erklärt Schindele. Kleine Gotteshäuser wie das Ähndl stehen weit hinten auf der Liste.
In seinem Pfarrverband ist die kleine Kapelle nicht das einzige Sorgenkind. „St. Anna in Hechendorf könnte im schlimmsten Fall bald geschlossen werden“, erzählt er. Dort ziehen sich an den Wänden lange Risse entlang, der Dachstuhl drückt auf das Gemäuer, die Wände driften nach außen. „Ein größerer Sturm könnte in dieser Kirche inzwischen große Schäden anrichten“, sagt Schindele. Einmal im Monat findet in St. Anna eine heilige Messe statt, auch für Taufen und Hochzeiten ist die Kirche beliebt. Wenn kein Geld investiert wird, muss Schindele das Gotteshaus aus dem 8. Jahrhundert aber vielleicht bald dauerhaft absperren – weil es zu gefährlich wird, sich darin aufzuhalten.
Er hat noch ein drittes Beispiel: Die Maria-Hilf-Kirche im Zentrum Murnaus. Die komplette Fußgängerzone sei in den vergangenen Jahren renoviert worden, berichtet der Pfarrer. Nur die Kirche nicht. An der Fassade sind riesige Wasserflecken zu sehen. Die Sparkasse hat ihn bereits darauf angesprochen – und sogar Spenden angeboten, damit die Kirche wieder ein schöneres Bild abgibt. Spenden sind Schindeles große Hoffnung bei den alten Kirchen, die nicht regelmäßig genutzt werden und immer mehr verfallen. Denn vom Bistum Augsburg bekommt er immer wieder die Auskunft, dass gerade keine Kapazitäten für die Renovierungen da sind. Das ist nicht nur in Murnau so. Auch von vielen Kollegen hört Schindele immer wieder, dass seit einigen Jahren das Geld für die Renovierung kleinerer Kirchen fehlt.
Im Bistum Augsburg gibt es rund 1000 Pfarreien mit mehr als 2050 Kirchen und Kapellen. In der Erzdiözese München und Freising sind es ebenfalls knapp 2000. Pro Kalenderjahr würden von den Pfarreien rund 400 Anträge zu Baumaßnahmen an Sakralgebäuden gestellt, berichtet ein Sprecher des Bistums Augsburg. „Alle Anträge werden auf ihre Dringlichkeit bewertet und je nach Finanzierbarkeit genehmigt.“ Er räumt ein, dass künftig überlegt werden müsse, wie die knapper werdenden Mittel bei massiv steigenden Baukosten zielgerichtet eingesetzt werden können. Es müssten Schwerpunkte gesetzt werden, um das kulturelle Erbe zu erhalten. Auch im Erzbistum sieht die Immobilienstrategie vor, die Baulast durch kooperative Nutzung von Immobilien und Aufgabe von Gebäuden zu reduzieren.
Siegbert Schindele blutet sein Pfarrer-Herz, wenn er vor dem Ähndl steht und den blätternden Putz sieht. „Diese Kapelle ist ein so beliebtes Ausflugsziel“, sagt er. Ihn plagt die Sorge, dass viele Besucher denken könnten, die Kirche hat kein Interesse an den schönen alten Gotteshäusern und lässt sie absichtlich verfallen. „Das ist schwer auszuhalten“, sagt er. Denn gerade Kirchen wie das Ähndl seien nicht nur für Mitglieder der Kirche wichtig, betont er. „Sie sind wunderschöne Kulturgüter, die jedem offen stehen.“ So manchem Ausflügler könnte ein zufälliger Besuch vielleicht sogar lange in guter Erinnerung bleiben. Siegbert Schindele hat seine Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die Vorstellung, dass er auch in Oberbayern irgendwann in verwahrlosten alten Kapellen stehen könnte, ist für ihn zu schwer zu ertragen.