Bald wieder Zutritt für Ungeimpfte

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Der Ort, an dem über mehr Normalität geredet wird, wirkt völlig unnormal, ja irreal. Noch immer kauern die Landtagsabgeordneten mit FFP2-Masken in Kästen aus Plexiglas, es sieht aus wie im kasachischen Callcenter. Nur ein Bruchteil der Abgeordneten darf überhaupt in den Saal, hinter jedem Redner läuft ein Des- infektions-Kommando durch den Plenarsaal. Die Angst vor Ansteckungen ist greifbar.

Irgendwie kurios: Dieser Saal, diese Runde, entscheidet nun, wie locker sich Bayern künftig machen darf. Der Landtag debattiert die neuen, wenige Stunden vorher bekannt gewordenen Corona-Regeln. „Eigenverantwortung muss wieder eine stärkere Rolle spielen“, sagt Ministerpräsident Markus Söder.

Kurz gesagt: Die Mehrheit für die Regierung steht, wie immer. CSU und Freie Wähler billigen die neue Infektionsschutzverordnung. Ab Donnerstag fällt im Einzelhandel das Besucherlimit, ebenso bei Zoos und auf Ausflugsschiffen. Die Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und Genesene werden gestrichen (nur für Ungeimpfte gelten sie weiter). Statt „2Gplus“ gilt dann „2G“ bei Sport und Kultur, Messen, Tagungen, Freizeiteinrichtungen. Also: Wer ins Theater will, muss zwar geimpft oder genesen sein, aber nicht zwingend getestet oder geboostert. Für Stadien wird die Zuschauerzahl auf 25 000 gehoben (bisher: 15 000). Wer selbst in der Gruppe Sport oder Musik macht, darf das mit frischem Test auch ungeimpft tun („3G“-Regel). Das gilt analog in Fitnessstudios, Museen und Ausstellungen und vor allem für die hart von Corona getroffenen Laienensembles.

Söder verkündet die Lockerungen mit der ihm eigenen Prosa, erzählt von „Team Vorsicht, Freiheit, Hoffnung“. Er hält die Omikron-Welle in Bayern für überwunden. „Der Einstieg in den Ausstieg ist kein Wagnis.“ Alle Regeln fallen lassen will er dennoch nicht. Für die Gastronomie soll es erst nach Fasching einen nächsten Schritt geben, dann mit „3G“. Auch Discos (im Amtsdeutsch „Tanzlustbarkeiten“) dürfen kaum vor März auf Öffnung hoffen. Noch länger dürfte die Maskenpflicht in Bus und Bahn und beim Einkaufen bleiben.

Söder und seine Koalition greifen damit wieder Bund und Ländern vor, die heute Nachmittag gemeinsame Regeln verabreden wollen. Im Landtag sorgt das erwartbar für Reibereien. Von links, vor allem den Grünen, muss sich Söder schelten lassen, er agiere inkonsequent. „Söder ist immer zu spät, es sei denn, es ist Ministerpräsidentenkonferenz, dann ist er einen Tag zu früh“, spottet der Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn warf Söder vor, dieser stehe „nur noch für Zickzack, für destruktive Opposition und für prinzipienlosen Populismus“. Auf der anderen Seite, vor allem von der FDP hört er, dass die Lockerung zu langsam gehe. Die Liberalen fordern per Dringlichkeitsantrag, das Ende der Pandemie-Gefahr jetzt zu beschließen und die Öffnungs-Stufen zu beschleunigen. 3G solle jetzt schon flächendeckend gelten. Die AfD fordert das Ende aller Maßnahmen.

Heikler ist für Söders Leute an diesem Tag die Sache mit der Impfpflicht. Vordergründig im Plenum: Söders Gesundheitsminister Klaus Holetschek liefert sich bei seiner offiziellen Regierungserklärung mit hochrotem Kopf ein Schrei-Duell mit dem SPD-Fraktionschef Florian von Brunn. „Avanti, dilettanti“, ruft Holetschek in den Saal und meint die Berliner Ampel-Koalition mit ihrem Impfpflicht-Gesetz für die Pflege.

Das Plenum kocht – im Kern geht es aber um etwas anderes: Söder und seine Leute wollen bei allem Ärger um fehlende Vollzugshinweise auch klarmachen, dass sie die branchenbezogene Impfpflicht nun doch umsetzen wollen. „Wir bleiben rechtstreu. Immer“, sagt Söder also einerseits. Andererseits fordert er vom Bund, Mängel im Gesetz abzustellen und einem plötzlichen Pflegenotstand vorzubeugen, wenn plötzlich alle ungeimpften Kräfte ausfallen. Er orakelt, in Berlin werde die Impfpflicht insgesamt vertrödelt, weil die Bundesregierung keinen eigenen Entwurf vorlege.

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