Über die unerträglich langsame Zeit

von Redaktion

INTERVIEW Psychologin Gesine Dreisbach findet Langeweile gar nicht langweilig

Regensburg – Jeder kennt das: Minuten fühlen sich an wie Stunden, die Zeit zieht sich wie Kaugummi. Was ist Langeweile? Und warum quält sie uns so? Gesine Dreisbach, Professorin für Psychologie an der Universität Regensburg, kennt die Antworten. Glaubt man der 53-Jährigen, ist Langeweile sogar positiv.

Ist es langweilig, sich als Forscherin mit Langeweile zu beschäftigen?

Nein, ich forsche auch nicht zu Langeweile, sondern Anstrengung. Aber da gibt es erstaunliche Gemeinsamkeiten.

Welche denn?

Wir können immer nur einer Beschäftigung nachgehen und müssen dafür auf eine andere verzichten. Wenn die Alternative interessanter erscheint, erleben wir ein Gefühl von Ablehnung und empfinden die Beschäftigung als anstrengend oder langweilig. Beides kann die gleiche Folge haben: Wir geben auf. Verlassen den Schreibtisch, spazieren in der Sonne.

Also kann Langeweile richtig anstrengend sein – und anders herum?

Ja. Es gibt Versuchsreihen, in denen Personen einmal Mathematikaufgaben lösen sollten und einmal gezwungen wurden, einfach nichts zu tun. Am Ende empfanden die Versuchspersonen die Langeweile als genauso anstrengend wie die Aufgaben.

Beschreibt Langeweile denn jeder gleich?

Nein, aber immer als unangenehm. Wenn wir in einer Telefon-Hotline hängen oder in einer Warteschlange stehen müssen, kann sie uns zappelig, ärgerlich oder sogar aggressiv werden lassen. Wir können aber auch träge werden. Wenn uns langweilig ist, muss das nicht an zu wenig Stimulation liegen. Wir können auch überfordert sein – oder den Sinn der aktuellen Tätigkeit infrage stellen.

Kann es sein, dass die Pandemie das Gefühl von Langeweile verstärkt hat?

Belegt ist das nicht. Aber ja, im ersten Lockdown gab es einen Mangel an Freizeit-Alternativen. „Aus der Not“ sind so viele Menschen wie nie spazieren gegangen oder haben angefangen, Brot zu backen. Ich weiß aber nicht, ob das aus Langeweile passiert ist.

Langweilen sich manche schneller als andere?

Langeweile ist subjektiv, nicht immer rational und wir sind unterschiedlich anfällig für sie. Sie kann entstehen, wenn wir in dem, was wir machen, keinen Sinn sehen. Am Flughafen von Houston gab es etwa oft Beschwerden über die Wartezeit am Kofferband. Als es weiter weg verlegt wurde, hörte das auf. Den Fußweg empfanden die Leute als sinnvoller als das bloße Warten. Mir persönlich würde das auch so gehen.

Trotz endloser Möglichkeiten, uns heute zu beschäftigen: Ist Langeweile ein modernes Problem?

Ich glaube nicht, dass Langeweile ein Luxusproblem und heute verbreiteter als früher ist. Die kognitiven Voraussetzungen sind unverändert. Es geht nicht um Intelligenz, sondern darum, ob ich meine Tätigkeit sinnvoll finde und ob es mir gelingt, meine Aufmerksamkeit auf sie zu richten – was auch auf Jagen und Sammeln zutreffen könnte. Zudem weiß man, dass Langeweile bei Kindern ein Auslöser für Neugier sein kann – so entdecken sie Neues.

Hat Langeweile per Evolution also eine Aufgabe?

Sie ist ein Signal. Sie kann unsere Kreativität fördern und uns motivieren, indem sie uns signalisiert, dass uns das, was wir gerade tun, nicht erfüllt. Die einen erfüllt das Sudoku-Rätsel stundenlang, andere nicht. Aber auch wer am Fließband arbeitet, kann seine Tätigkeit als absolut sinnhaft empfinden. Es kommt eben ganz darauf an, welche Vorlieben oder Ziele man hat.

Hat Langeweile heute einen schlechten Ruf?

Ja, weil sie einem vermittelt, dass man nichts mit sich anfangen kann. Niemand macht einem Vorwürfe, wenn man mit Gips im Krankenhaus liegt. Wer aber gegenüber anderen zugibt, dass ihm langweilig ist, muss fürchten, dafür verurteilt zu werden. Unsere Gesellschaft schreibt nun mal beschäftigten Menschen ein höheres Maß an Kompetenz zu. Das verschafft uns das schlechte Gewissen, wenn wir feststellen, dass wir uns langweilen.

Gibt es einen Ausweg?

Jeder Tätigkeitswechsel kann uns aus der Langeweile herausholen. Wenn Ihnen Bügeln zu langweilig ist, lassen Sie’s und schauen sich Fotos vom Sommerurlaub an. Oder Sie hören nebenbei einen Podcast und erhöhen so die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit.

Was hilft sonst?

Herauszufinden, was der Grund meiner Langweile ist, ist ein guter Start. Bin ich im Job über- oder unterfordert? Klagen Kinder, sollte man der Ursache ebenfalls auf den Grund gehen. Gelingt das, war die Langeweile informativ und Anstoß, an einem Problem zu arbeiten – und das ist doch wirklich positiv. Interview: Cornelia Schramm

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