Augsburg schließt Skandal-Pflegeheim

von Redaktion

VON BEATRICE OSSBERGER

München – Es waren schlimmste Zustände, die die Bewohner des Seniorenheims an der Ebnerstraße in Augsburg erdulden mussten. Sie bekamen zu wenig zu essen und zu trinken, sie wurden nicht versorgt, sie bekamen falsche Medikamente. Ehemalige Pflegekräfte haben vor zwei Wochen die massiven Missstände in dem Heim öffentlich gemacht. In dem Pflegeheim waren seit längerer Zeit Mängel aufgetreten. Die Einrichtung hatte nach Darstellung der Stadt Augsburg bereits seit Anfang 2021 unter engmaschiger Beobachtung gestanden.

Am Samstag hat die Stadt nun Konsequenzen gezogen. Jetzt sind alle 86 Bewohner verlegt worden, das Heim wurde dichtgemacht. „Die Schließung des Haues ist endgültig“, teilte die Stadtverwaltung mit. Innerhalb weniger Monate ist es der zweite Pflege-Skandal, der den Freistaat erschüttert. Erst im September 2021 war ein Heim in Schliersee wegen gravierender Mängel geschlossen worden. Der Betreiber beider Heime war das italienische Unternehmen Sereni Orizzonti.

Als Konsequenz auf die aufgedeckten Missstände kündigte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) eine Qualitätsoffensive für Pflegeheime an. Dazu gehören eine Expertenrunde, ein Organisationsgutachten, das aufzeigen soll, wo landesrechtliche Kontrollen verbessert werden können und eine Kontaktstelle „Pflege SOS“, bei der Missstände gemeldet werden können.

Holetschek versicherte, dass ihm die Pflege ein wichtiges Anliegen sei. „Ich nehme Hinweise auf mögliche Missstände in Einrichtungen sehr ernst“, sagte er. Die jüngsten Vorwürfe gegenüber dem Pflegeheim in Augsburg zeigten, dass man sich auch die Kontrollen genau ansehen müsse.

Claus Fussek, Deutschlands bekanntester Pflege-Experte, sieht die Initiative des Ministers mit gemischten Gefühlen. „Grundsätzlich begrüße ich jeden Versuch, die Situation in der Pflege zu verbessern“, sagt er. „Doch nur mit einer Telefonnummer oder einem Expertengespräch ist das nicht getan. Was wir brauchen, ist ein fundamentaler Richtungswechsel hin zu einer Gesellschaft, die gemeinsam die Verantwortung für ihre Alten und Schutzbedürftigen übernimmt.“

Man soll doch endlich ehrlich sein, sagt Fussek. „Jeder weiß doch, wie die Zustände in vielen Heimen sind.“ Und so fordert der Pflege-Experte jetzt, vor dem Hintergrund der Vorkommnisse in Schliersee und Augsburg, eine „ehrliche und schonungslose Analyse des Scheiterns“.

Er wünsche sich, fährt Fussek weiter fort, dass die Pflege als Thema nicht länger von Parteipolitik bestimmt werde und dass die Spirale der Angst durchbrochen werde. Das sei der Schlüssel. „Es kann nicht sein, dass Pflegekräfte Angst davor haben, Missstände anzuzeigen, und dass Angehörige sich nicht beschweren, weil sie Nachteile für ihren pflegebedürftigen Vater fürchten.“ Erst vor Kurzem, sagt Fussek, habe ihn eine Lehrkraft einer Augsburger Altenpflegeschule angerufen und ihm erzählt, wie schockiert die Schüler von den Zuständen in dem nun geschlossenen Heim waren. „Aber auch die Lehrkraft hat den Behörden nichts gesagt – aus Angst vor Repressalien.“

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