Dialekt erlebt eine kleine Renaissance

von Redaktion

VON PETER REINBOLD

Schäftlarn – Der große deutsche Schriftsteller Martin Walser – am Bodensee zu Hause – redet noch immer so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Der Dialekt, lautet sein Credo, sei die Goldwährung der Sprache. „Was man nicht in Dialekt übersetzten kann, ist Blabla.“ Walser gehört mittlerweile einer Minderheit an. Die Zahl der Menschen, die Mundart sprechen, hat in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen – auch in Bayern. Mundart ist Muttersprache, finden Dialektpfleger mit Blick auf den heutigen Internationalen Tag der Muttersprache. Mittlerweile scheint aber eine Bodenbildung erreicht. Karl Simon (72) sieht gar Anzeichen für eine Renaissance. „Ich habe das Gefühl, dass wieder mehr Menschen Bairisch reden“, sagt der ehemalige Lehrer aus Schäftlarn (Kreis München), der im Beirat des Gesamtvorstands des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte (FBSD) sitzt.

Die vielen Initiativen, die durch Vertreter seines Verbands ins Leben gerufen wurden, haben einen kleinen Schub ausgelöst. „Von einem Boom will ich noch nicht sprechen“, sagt Simon. Besonders rege: der FBSD-Landschaftsverband Rupertiwinkel. Durch Georg Christlmaier, Lehrer am Annette-Kolb-Gymnasium in Traunstein, hat der Bairisch-Rap Einzug in den Stundenplan gehalten. „Rap de Schui“ heißt das Projekt. Die Schüler mussten einen Rap-Text verfassen und eine Aufnahme einreichen. Es gewann Teresa Waldherr mit ihrem Song „Weißblau trifft Grüngelb“.

Christlmeier fühlte sich zu der Idee animiert, da ihm aufgefallen war, „dass die Schüler immer weniger Bairisch reden“. Entscheidend sei dabei, aus welchem Ort beziehungsweise welcher Gegend sie stamme. Ein Stadt-Land-Gefälle hat auch Simon ausgemacht. Der Münchner Dialekt zum Beispiel werde immer mehr verwässert. Verantwortlich dafür seien die Zugezogenen aus anderen Regionen Deutschlands. Die Münchner Mundart, die sich gerade ausbreitet, nennt Simon etwas despektierlich „Friseur-Bairisch“.

Wissenschaftlich belegt: Je städtischer die Umgebung ist, in der Kinder aufwachsen, desto weniger sprechen Mundart. Den Beweis für diese These liefert der Augsburger Dialektforscher Werner König in einer Studie. Zwischen Dörfern und der Großstadt stürzt ihr Anteil von 23,8 Prozent auf spärliche 5,3 Prozent ab. Das liegt König zufolge weniger am höheren Anteil von Migrantenkindern, sondern an der stärkeren Zurückhaltung von Erzieherinnen, mit den Mädchen und Buben Dialekt zu reden. „Ein Kind lernt die Sprache, der es ausgesetzt ist, es spiegelt die Sprache seiner Umgebung“, sagt König. Auch deshalb hat Simon in seiner aktiven Zeit als Gymnasial- und Berufschullehrer nie seinen oberbayerischen Dialekt verleugnet. Selbst gegen Widerstände. Nach einer Lehrprobe als junger Referendar hielt ihm ein Beamter aus dem Kultusministerium seine Mundart vor und forderte ihn auf, das zu ändern. Bei Simon biss er dabei allerdings auf Granit. Unterstützung gab’s vom damaligen Schulleiter.

Mit dem Vorurteil, der Dialekt sei „ein kurioses Idiom zurückgebliebener Hinterwäldler“ müsse Schluss sein, sagt Sepp Obermeier, Vorsitzender vom Bund Baierischer Sprache. „Wenn heute die Gesellschaft immer sensibler auf Diskriminierungen von Minderheiten reagiert, muss auch die Verächtlichmachung der eigenen Kultur endlich ein Ende haben.“

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