München/Schäftlarn – Die Ermittlungen laufen, sie werden noch Monate dauern. Und auch wenn ein 54-jähriger Lokführer aus dem Raum Fürstenfeldbruck als Beschuldigter geführt wird, hüten sich alle vor vorschnellen Verurteilungen. Im Bayerischen Landtag appellierte Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) gestern, das Unglück nicht für ein „parteipolitisches Schauspiel“ auszunutzen. Eingleisige Strecken seien generell nicht gefährlicher als zweigleisige. Und Bahnfahren sei trotz des Unfalls generell viel sicherer als Autofahren – das Risiko, sich im Zug zu verletzen, sei 159 Mal geringer als bei einer Autofahrt. 59 Mal geringer sei die Gefahr, bei einem Unfall getötet zu werden.
Bei den Unfallursachen verwies Norbert Radmacher, Inspekteur der Bayerischen Polizei im Innenministerium, auf die bekannte Sachlage: Die S-Bahn ab Wolfratshausen Richtung München habe offenbar nicht auf den Zug aus München gewartet, sondern sei schon in Ebenhausen-Schäftlarn losgefahren, obwohl der Gegenzug noch nicht da war. Dann habe der 54-jährige Lokführer ein rotes Signal überfahren. Dass er anschließend eine Zwangsbremsung gelöst habe – ohne Rücksprache mit dem Fahrdienstleiter –, bestätigte Radmacher nicht. Aber: „Es deutet einiges auf menschliches Versagen.“
Gegen den Lokführer laufen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung, in einem Fall mit Todesfolge, und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr. Nach Informationen unserer Zeitung handelt es sich bei dem Mann um einen Quereinsteiger – das heißt, er war nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung zur Bahn gewechselt. Wann das war, wollte die Pressestelle „mit Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte“ nicht sagen.
Bei der S-Bahn München gibt es für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung die Möglichkeit, eine Art verkürzte Ausbildung zu machen. Lokführer wird man dann in knapp einem Jahr. Nach einer Theorieeinweisung darf unter Anleitung gefahren werden, ehe die praktische Fahrprüfung ansteht – traditionell auf der S7-Strecke, die wegen Steigungen und Langsamfahrstellen die anspruchsvollste im S-Bahn-Netz ist. Der Lokführer, so heißt es, hatte als Jahrgangsbester die Abschlussprüfung bestanden. Die Bahn in Bayern beschäftigt mittlerweile eine größere Anzahl von Quereinsteigern – allein während der Corona-Krise wurden 50 Bewerber aus der schwächelnden Luftfahrtbranche übernommen.
Die S7-Strecke wird nach Angaben der Bahn bis etwa Mitte der nächsten Woche gesperrt sein. Im Landtag berichtet Bayerns Bahn-Chef Klaus-Dieter Josel, dass neben der Oberleitung auch ein geknickter Strommast ersetzt werden muss. Ferner seien die Schienen verschoben, sodass die Gleisabständen nicht mehr stimmen. 100 Schwellen wurden zerstört, auch der Schotter muss neu verdichtet werden. In den Tagen nach dem Unglück leitete Josel den bahninternen Krisenstab, der auch psychologische Unfallberatung für die Fahrgäste im Zug bot. 140 Gespräche mit psychologischer Beratung wurden bisher geführt.