Bayerns evangelischer Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat Kölcse an der ungarisch-ukrainischen Grenze besucht. Dort kommen täglich Hunderte Ukrainer an, die vor dem Krieg in ihrem Land fliehen. Im Interview berichtet Bedford-Strohm davon – und von der Rolle der Kirche in Russland.
Wie haben Sie die Situation an der Grenze in Ungarn am Sonntag erlebt?
Zum einen als ganz beklemmende, traurige Atmosphäre. Die Menschen aus der Ukraine kommen nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Den Schmerz über das, was sie erlebt haben, merkt man ihnen an. Auf der anderen Seite habe ich aber auch so viel Hilfsbereitschaft gesehen. All die Ehrenamtlichen kümmern sich mit Liebe um jeden, der hier ankommt.
Wie haben sich die Ehrenamtlichen organisiert?
Sie sagen, die Menschen, die jetzt ankommen, seien noch die wohlhabenderen Ukrainer. Alle anderen kommen erst noch, die Hilfe fängt erst an. In Kölcse hat die evangelisch-lutherische Kirche ein Aufnahmezentrum in einer Turnhalle aufgebaut. Die Region hilft zusammen. Busse fahren die, die zu Fuß ankommen, dorthin. Für Autofahrer gibt es Anfahrtspläne.
Wollen die Menschen bleiben oder weiterziehen?
Viele wollen zu Verwandten oder Freunden. Sie bleiben ein, zwei Tage in der Unterkunft, bis sie weiterfahren. Gestern ist ein Zug mit 500 Leuten angekommen. Darin waren 160 nigerianische und 40 equadorianische Studenten aus Kiew. Sie wollen weiter nach Budapest und von dort aus heimfliegen. Andere bleiben und haben schon eine Unterkunft vermittelt bekommen. Das Schicksal einer Familie hat mich besonders berührt. Die Frau hat hier ihr drittes Kind entbunden und kann jetzt gleich in ein leer stehendes Haus einziehen.
Sollte es in Deutschland eine Aufnahme-Obergrenze für Geflüchtete geben?
Über Zahlen zu spekulieren halte ich für überflüssig und unangebracht. In der Flüchtlingskrise 2015 war Europa gespalten, auch Deutschland und Ungarn. Davon merkt man heute nichts. Alle ziehen an einem Strang. Die Hilfsbereitschaft, die ich hier und in Deutschland erleben, ist eine Revolution der Empathie. Ich hoffe, dass Menschlichkeit siegt, nicht brutale Gewalt.
Welche Rolle spielt die evangelische Kirche?
Die Kirchengemeinden haben sich schon organisiert, und ich habe mit Innenminister Joachim Herrmann gesprochen, wo unsere Hilfe am nötigsten gebraucht wird. Sprachkurse sind schwierig, aber wir können bei Grundlagen in Deutsch helfen. Wir wollen zudem Unterbringungsmöglichkeiten stellen, sie finden und weitervermitteln.
Stellen Sie auch finanzielle Hilfe bereit?
Natürlich. Ich rufe auch dazu auf, Geld zu spenden und keine Sachgüter. Den lutherischen Kirchen in Polen, Tschechien und Ungarn hat die bayerische Landeskirche 180 000 Euro zur Verfügung gestellt. Das ist nur ein Anfang. Trotz Spardebatten wollen wir Gelder aus Kirchensteuermitteln bereitstellen und Spenden aktivieren. Es wird Hilfe in hohen Millionenbeträgen geben. Die genaue Summe verkündet die Synode in zwei Wochen.
Kyrill I., Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, steht fest zu Putin. Was erwarten Sie von ihm?
Als Kirchen muss uns der absolute Wille verbinden, dass Krieg und Gewalt aufhören und die Waffen schweigen. Im Hintergrund laufen viele Gespräche, etwa im ökumenischen Rat der Kirchen, die hoffentlich dazu führen, dass die Kirchen ihren Beitrag zum Ende des Krieges gegen die Ukraine leisten können.
Macht sich die russisch-orthodoxe Kirche mitschuldig am Krieg, wenn sie „Feinde“ Russlands öffentlich als „Kräfte des Bösen“ bezeichnet?
Konsens der Kirchen weltweit muss sein, dass ein Angriffskrieg in tiefem Widerspruch zu den christlichen Werten steht.
Welche Rolle kommt der russisch-orthodoxen Kirche im Hinblick auf das Beenden des Krieges zu?
Es wäre ein gewichtiger Schritt, wenn die russisch-orthodoxe Kirche hier ein Zeichen setzen würde. Es ist meine Hoffnung und Erwartung, dass sie zusammen mit den Kirchen der Welt dazu aufruft, die Waffen schweigen zu lassen.
Interview: Cornelia Schramm