Fürstenfeldbruck – Tocja ist 101 Jahre alt – und erlebt gerade den dritten Krieg in ihrem Leben. Zusammen mit ihrer Tochter Katarina ist sie aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Sie haben Verwandte in Regensburg. Wie alle Geflüchteten hat sie schwere Tage hinter sich, die sie gezeichnet haben. Als sie in der Nacht zum Montag in Regensburg ankommt, ist sie völlig erschöpft. „Sie ist so müde und kann noch nicht sprechen“, sagt ihr Enkel Alexander Wecel. „Es sind unschuldige Leute, die hier im Krieg leiden.“
Die Menschen, die wie Tocja Verwandte hier in Deutschland haben, kommen schnell an. Für die meisten anderen ist die Reise nach der Ankunft noch nicht beendet. Ihre erste Station ist eines der großen bayerischen Ankerzentren. Die Einrichtungen in München waren gestern bereits fast voll belegt. Auch in der Dependance im Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst kommen seit einigen Tagen immer mehr Menschen an. Gestern waren dort laut Regierung von Oberbayern 177 Menschen aus der Ukraine untergebracht. Die Asylbewerber, die bisher dort gelebt hatten, wurden in andere Gemeinschaftsunterkünfte verlegt, berichtet ein Sprecher – zum Beispiel nach Waldkraiburg. Im Fürstenfeldbrucker Ankerzentrum sollen maximal 1000 Menschen gleichzeitig unterkommen. Sie sollen von dort so schnell wie möglich an kleinere Unterkünfte weitergeleitet werden.
Wann der nächste Bustransport eintrifft und wie viele Menschen an Bord sein werden, weiß im Brucker Ankerzentrum niemand genau. Der Wind peitscht kalt um die Gebäude auf dem Fliegerhorst-Gelände. Durch das Tor, das von mehreren Security-Männern bewacht wird, kommen Marion Henne und Michael Pirling. Beide arbeiten für sie Asylsozialberatung der Caritas in der Unterkunft. Bereits um 9 Uhr morgens kamen gestern die ersten Geflüchteten in ihre Büros – um Fragen zu stellen und zu erfahren, wie es nun für sie weitergeht. Für Marion Henne und ihre Kollegen sind diese Beratungsgespräche Alltag – doch die aktuelle Situation ist auch für sie besonders. „Wir wissen nicht, wie viele Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine hier im Ankerzentrum untergebracht sind“, sagt sie. Die Caritas bereitet sich auf bis zu 1200 Menschen vor – so viele Plätze gibt es in der Einrichtung bei Vollauslastung. Auffällig sei, dass viele der Kriegsflüchtlinge aus Drittstaaten stammen, sagt Henne. „Sehr viele stammen aus Afghanistan. Sie sind aus ihrer Heimat geflohen – und dann in der Ukraine im Krieg gelandet.“ Aktuell sind sechs Caritas-Mitarbeiter vor Ort, um die Menschen zu beraten und zu betreuen. „Viele sind sehr traumatisiert“, sagt Henne. Auch das wäre für sie und ihre Kollegen eigentlich nicht neu. Doch sonst liegen die schlimmen Erlebnisse meistens eine Weile zurück, weil die Flucht lange gedauert hat, sagt sie. „Die Menschen, die jetzt kommen, sind noch in einem regelrechten Schockzustand.“
Nach und nach werden auch immer mehr Geflüchtete direkt den Landkreisen zugewiesen. In Fürstenfeldbruck waren es gestern 55 Menschen, die ohne den Umweg über das Ankerzentrum direkt in Unterkünfte in Olching und Puchheim gebracht wurden. Dabei handelt es sich um sogenannte Quarantäne-Plätze, die der Landkreis frei gehalten hatte, falls es in Asylunterkünften zu Corona-Ausbrüchen kommt. In Possenhofen im Kreis Starnberg wurden gestern 88 Geflüchtete in eine Jugendherberge gebracht. In der kleinen Gemeinde Kreuth am Tegernsee sind am Sonntag 50 Geflüchtete angekommen. Ein Teil von ihnen in Wildbad Kreuth, wo jahrzehntelang die Winterklausur der CSU stattgefunden hatte. Geprüft wird gerade auch, ob die vor Kurzem wegen eines Pflegeskandals geschlossene Seniorenresidenz in Schliersee vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden könnte. (mit st/jm/ddyNews 5)