München – Der 18. Januar 2022 hatte es ohne eigenes Zutun in die Geschichtsbücher geschafft. Zumindest wenn es nach OB Dieter Reiter (SPD) geht. Der sprach an just jenem Tag von eben einem „historischen Datum“, flankiert von einer „historischen Nachricht.“ Der Rathauschef und der Chef der Stadtwerke München (SWM), Florian Bieberbach, hatten gerade bekannt gegeben, dass sich die Landeshauptstadt noch 2022 aus der Kohleverbrennung und der Energiegewinnung aus Atomkraft verabschieden werde. Doch das scheint zunächst Geschichte.
In München wird im HKW Nord Steinkohle verbrannt, um damit Wärme und Strom zu erzeugen. Der Ausstieg aus der Kohleverbrennung war unter anderem von einem Bürgerentscheid eingefordert worden. Ziel der Stadt und der Stadtwerke war es, dass im Kraftwerk zum Jahreswechsel auf Erdgas umgestellt wird, langfristig möglicherweise auf Wasserstoff. Über 50 Prozent des bundesweiten Erdgases stammen jedoch aus russischen Fabriken. Etwa 30 Prozent kommen aus Norwegen, zehn Prozent aus den Niederlanden, der Rest aus Deutschland und anderen europäischen Ländern.
Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sei eine künftige verlässliche Versorgung mit Erdgas infrage gestellt, sagen die Stadtwerke. Der Füllstand der süddeutschen Erdgasspeicher liege aktuell unter 20 Prozent. Die Gasflüsse aus Russland blieben ferner deutlich unter dem Durchschnitt. Die Gaspreise hätten sich mehr als verfünffacht.
Würde München nun im Kraftwerk Nord von Kohle auf Gas umstellen, ginge in München ein neuer Großverbraucher ans Netz, der während der Heizperiode deutlich mehr Erdgas benötigen würde als alle Münchner Privatkunden der Stadtwerke. „Unsere Strategie hin zu hundertprozentig erneuerbarer Strom- und Wärmeversorgung bleibt unverändert“, sagt SWM-Chef Bieberbach. Dennoch: „Nach Durchspielen verschiedener Szenarien und sorgfältiger Prüfung von Optionen schlagen wir dem Stadtrat vor, den Block 2 im HKW Nord in der nächsten Heizperiode noch einmal mit Kohle zu betreiben. Dies verringert unseren prognostizierten Gasbedarf signifikant, was in diesen Zeiten die Versorgungssicherheit deutlich erhöht.“
Das scheint mehrheitsfähig. Grünen-Vize Dominik Krause sagte, man werde genau beobachten, wie sich die Versorgungssicherheit entwickle. „Es geht ja nicht um die nächsten Wochen und Monate.“ Klar sei auch, dass geklärt werden müsse, woher die Kohle für die Verbrennung kommt. Denn auch dort kaufen die SWM aus Russland dazu. „Das ist keine triviale Frage.“
SPD-Stadträtin Simone Burger sieht das ähnlich. „Wir haben die SWM aufgefordert zu prüfen, dass keine Kohle aus Russland bezogen wird. Gleichzeitig werden wir die Strom- und Wärmeversorgung und die Netze ansehen, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen.“ Das sei aber keine Abkehr vom Ziel, schon bald auf erneuerbare Energien umzusteigen.
Die CSU hatte ein großes Antragspaket veröffentlicht, fordert unter anderem die Umstellung des Heizkraftwerkes zunächst zurückstellen und das Atomkraftwerk Isar 2 weiterzubetreiben. Auch das hätte Ende des Jahres vom Netz gehen sollen. CSU-Chef Manuel Pretzl: „In der aktuellen Situation muss die sichere und bezahlbare Versorgung der Münchner mit Wärme und Strom oberste Priorität haben. Darüber hinaus dürfen diese Grundbedürfnisse keine neue soziale Frage schaffen.“