Gauting/München – Gleich am Morgen steigen die ersten Geflüchteten aus einem Kleinbus vor der Lungenklinik in Gauting (Kreis Starnberg) aus. Sie sollen an diesem Tag auf Tuberkulose untersucht werden. Das ist nach dem Infektionsschutzgesetz Pflicht für alle Bewohner in bayerischen Flüchtlingsunterkünften, die aus Risikoländern stammen. Sie müssen nachweisen, dass sie nicht an der sehr ansteckenden Lungentuberkulose erkrankt sind. Wie das Innenministerium berichtet, betrifft das in Bayern aktuell mehr als 6000 Ukrainer. Denn die Nachweispflicht gilt nicht für die Menschen, die in Privathaushalten untergebracht sind.
„Das Ziel dieser Reihenuntersuchung ist zum einen, Erkrankte frühzeitig zu erkennen und richtig zu behandeln“, erklärt Marion Heiß-Neumann, die leitende Oberärztin der Infektiologie. „Zum anderen sollen Infektionsketten innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte vermieden werden.“
Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die meist die Lunge betrifft, aber auch andere Organe angreifen kann. Vor allem in ärmeren Ländern mit schlechter medizinischer Versorgung gehört sie zu den Krankheiten mit den meisten Todesopfern. Laut Weltgesundheitsorganisation entfallen nur 2,9 Prozent der Fälle auf Europa, betroffen ist vor allem Osteuropa. 2020 gab es in der Ukraine geschätzt rund 32 000 TB-Fälle. In Deutschland waren es rund 4600. In der Ukraine sei Tuberkulose wegen schlechterer medizinischer Versorgung und fehlender Möglichkeiten bei Diagnostik und Therapie stärker verbreitet, erklärt Heiß-Neumann.
In der Gautinger Unterkunft leben aktuell rund 120 Menschen. Etwa die Hälfte wurde am Samstag in der Lungenklinik untersucht, die anderen waren entweder in Corona-Quarantäne oder Kinder, die von einem Kinderarzt betreut werden. Bei niemandem wurde Tuberkulose nachgewiesen. Etwa 30 Menschen nutzten die Gelegenheit, sich gegen Corona impfen zu lassen. Unter ihnen waren Genesene und Personen, denen die Booster-Impfung gefehlt hatte.
Währenddessen kam am Samstagabend ein Sonderzug aus Osteuropa am Münchner Hauptbahnhof an. Mindestens die Hälfte der Geflüchteten darin waren Kinder, sagte eine Sprecherin des privaten Bahnunternehmens RailAdventure, das die Fahrt organisiert hatte. Sie schätze die Zahl der Geflüchteten auf etwa 700, ein Polizeisprecher sprach nach der Ankunft am Samstag zunächst von etwa 430 Menschen.
Ursprünglich war geplant gewesen, Geflüchtete direkt an der polnisch-ukrainischen Grenze abzuholen. Man sei aber nicht ganz an die Grenze gekommen, sondern habe ukrainische Flüchtlinge in Warschau und Posen aufgenommen. „Es war beeindruckend, wie viele Helfer vor Ort waren“, sagte die RailAdventure-Sprecherin. In Posen hätten viele Menschen mitten in der Nacht bei zweistelligen Minustemperaturen Brote geschmiert und Tee gekocht.
Ungefähr 80 Geflüchtete seien schon bei Zwischenstopps in Braunschweig und Würzburg ausgestiegen, sagte die Sprecherin. Das Münchner Bahnunternehmen hatte für die Sonderfahrt Liegewagen aus den Niederlanden gechartert. Laut Polizei reisten ein paar der in München angekommenen Menschen in andere deutsche Städte weiter, der überwiegende Teil müsse aber in der Stadt untergebracht werden. Die ist derweil auf der Suche nach pragmatischen Lösungen, um die Tausenden Geflüchteten unterzubringen. Bis Freitag seien etwa 6500 Menschen angekommen, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). „Wir überlegen auch, eine Art Zeltstadt zu bauen“, sagte er. Lieber sei ihm aber, man könne Geflüchtete in Hallen unterbringen. „Schlimmstenfalls finden eben in nächster Zeit keine Messen statt.“ lby/mm