„Die Jugendlichen wissen schon, wie es richtig heißt“

von Redaktion

Sprachwissenschaftlerin Claudia Riehl erklärt, warum sich Jugendsprache immer verändert – und immer provoziert

Claudia Maria Riehl ist Professorin für Sprachwissenschaft des Deutschen an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Ein Gespräch darüber, warum Großeltern ihre Enkel manchmal nicht verstehen. Und warum das ganz normal ist.

Moruk, cracky, Kenex: Wissen Sie auf Anhieb, was diese Wörter bedeuten?

Moruk kenne ich: Das kommt aus dem Kiezdeutschen und bedeutet so etwas wie „Alter“, aber noch etwas vulgärer als „Lan“, beides aus dem Kiezdeutschen. Die beiden anderen Wörter kenne ich nicht.

Cracky heißt so viel wie abgeranzt, kenex ist eine Selbstbezeichnung für Ausländer. Ist Jugendslang eine Fremdsprache?

Jugendslang ist keine Fremdsprache, sondern eine sogenannte Varietät des Deutschen, in der Forschung spricht man auch von einem sogenannten Soziolekt.

Jede Generation hat ihre Wörter. Was macht Jugendsprache aus?

Dass sie provozieren will. Entweder durch Umdeutung alter Wörter oder durch die Erfindung neuer. Jugendsprache ist total kurzlebig. Sobald sie Einzug in die Umgangssprache findet, wird sie für Jugendliche uninteressant. Dann müssen sie etwas Neues kreieren. Bei allen Ausdrucksweisen gibt es große Unterschiede je nach Region, Alter, Bildungsstand oder Subkultur. Surfer sprechen anders als Computerfreaks. In der Jugendsprachforschung spricht man deshalb von Jugendsprachen im Plural.

Welche Wörter haben die Erwachsenen in Ihrer Jugend provoziert?

In meiner Jugend in den 1970er-Jahren kam das Wort „geil“ auf. Unsere Eltern haben sich darüber wahnsinnig aufgeregt. Die Entwicklung des Wortes ist sehr interessant. Es taucht schon im Mittelalter auf. Damals hieß es einfach so viel wie „fröhlich“ oder „aufgeregt“. Durch eine Bedeutungsverengung über die Zeit, hieß es dann nur noch „sexuell erregt“ – bis die Jugend es wieder entdeckte. Heute bedeutet „geil“ einfach „toll“oder „super“. Mit dem Slogan „Geiz ist geil“ wurde es endgültig salonfähig.

Was für Ausdrücke fallen Ihnen noch ein?

Erwachsene verwenden heute noch Wörter wie „Vollpfosten“ oder MoF, Mensch ohne Freunde. Das war einmal Jugendsprache und ist heute normale Umgangssprache – also für die Jugend uninteressant. Metaphern sind für sie ein beliebtes Stilmittel. „Hopfensmoothie“ für Bier oder „Fleischdesigner“ für Metzger.

Was ist besonders an aktueller Jugendsprache?

Die Jugend deutet um, provoziert durch Tabuwörter oder verwendet Wörter, die Erwachsene nicht verstehen. Neu sind Anleihen aus Fremdsprachen. Anglizismen gibt es ja schon länger. Heute kommen zunehmend auch Begriffe aus sogenannten Migrantensprachen hinzu. Etwa aus dem Türkischen, Arabischen oder Russischen. Für „Kumpel“ gibt es heute etwa die Ausdrücke Habibi aus dem Arabischen oder Bratan aus dem Russischen. Wörter aus anderen Sprachen dienen auch deutschen Jugendlichen dabei, sich von der Mainstream-Gesellschaft abzugrenzen. Eine weitere Funktion ist das spielerische Element. Man möchte besonders witzig sein. Die Erfinder witziger Wörter genießen Ansehen.

Deutschrap, Influencer, Netflix-Stars. Wer formt die Jugendsprache?

Interessant ist der Einfluss des sogenannten Ethnolekts oder Kiezdeutsch. Europaweit bilden Jugendliche mit Migrationshintergrund eine eigene Sprachform aus. In Deutschland entstand zunächst in der türkischen Gemeinschaft in den 1980er-Jahren das sogenannte Türkendeutsch, in dem bei Äußerungen wie „gehen wir Hauptbahnhof“ etwa Präpositionen weggelassen werden. Oder türkische Ausdrücke wie „Yemin ederim“ werden direkt übersetzt mit der Formel „ich schwör“. Im Berliner Migrantenmilieu entstand das sogenannte Kiezdeutsch mit Besonderheiten auf der Ebene des Wortschatzes, der Grammatik und der Aussprache. Die verkürzte Sprache ähnelt auch dem Rap.

Verlernt die Jugend deutsch zu sprechen?

Nein, das ist ein Trugschluss. Junge Menschen stellen mit ihrer Sprechweise ihre Identität in den Vordergrund und grenzen sich von den Erwachsenen ab. Ich höre immer wieder: „Oh mein Gott, die Jugend kann keine Grammatik mehr.“ Das stimmt nicht. Die Jugendlichen können durchaus hin und her wechseln. Mit Lehrern und Eltern reden sie durchaus korrektes Standarddeutsch.

Seit wann gibt es Jugendsprache?

Auch früher gab es schon so etwas wie Studentensprache oder Schülersprache. Beispiele dafür sind etwa „Bummelant“ oder „Pauker“. Der Jugendliche an sich ist ein recht neues soziologisches Phänomen. Früher gab es einfach Kinder und Erwachsene. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts definiert sich die Jugend durch eigene Kleidung, Verhaltensweisen und eben auch eine eigene Sprache.

Was macht das Internet mit der Jugendsprache?

Ein interessantes Phänomen ist die Wechselwirkung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. Durch die Erfindung des Chats, also die schriftliche Simulation eines Gesprächs, geht etwas ganz Zentrales verloren: Der Ausdruck von Emotionen durch die Stimmführung. So wurden Emoticons erfunden, um diese Lücke zu schließen. Auch die Längung von Vokalen wie „sooooooo blöd“ oder die Verschriftlichung von Empfindungen durch sogenannte Wurzelwörter wie „würg“ oder „kotz“ sind auch Beispiele. Teilweise kommen diese Erscheinungen schon in der Comicsprache der 1980er-Jahren vor und man findet sie heute in den Chats wieder.

Und die Schrift wird dann wieder zum Wort?

Ja genau. Das Akronym „lol“, „Laughing out loud“, als Lachersatz, ist ein Beispiel für so eine Rückwirkung. Oder die Verlautlichung von Zahlen wie „1Life“. Was Jugendsprache auch macht, ist Dinge zu zitieren. Aus Werbung, Chats oder Slogans – da geht es mehr um die Sprechweise. Sprachliche Umgangsformen wie das Dissen mit spielerischen Beleidigungen sind typisch für Jugendliche.

Interview: Laura May

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