Sheesh Habibi, läuft bei dir!

von Redaktion

VON LAURA MAY

Schongau – Billard, Brüder und brummende Bässe. Die Jugend kommt zum Abhängen ins Juze Schongau. Eine friedliche Koexistenz zwischen Jungs und Mädls, Kindern und Teenagern, Softdrinks und Zigaretten. „Hier wechselt es zwischen Heavy Metal und Deutschrap“, beschreibt Sozialpädagogin Christina Annibalini die Geräuschkulisse im Gemeinschaftsraum.

In bunter Schrift steht das Wort diversity (Diversität) im Treppenhaus des Jugendzentrums an der Wand. Auch die Sprache der Jugendlichen ist eine bunte Mischung: Baierisch, Arabisch, Türkisch, Albanisch, Russisch, Griechisch – der Slang hat viele Einflüsse. „Wir sind halt Kenex“, sagt Silvio (15). „So coole Ausländer.“ Und Kosta (14) schießt schmunzelnd hinterher: „Integrierte mit Migrationshintergrund.“ Jugendsprache setzt sich gegenüber der Mehrheit von „Almans“ ab. Alman heißt Deutscher auf Türkisch. Auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund finden im Vokabular anderer Sprachen neue Ausdrucksweisen. Statt Bruder sagen sie „Habibi“ (arabisch) oder „Bratan“ (russisch). Aus meine Güte wird „sheesh“ – hergeleitet aus dem englischen „jeez“ für Jesus. Der Jugendslang hat unzählige Beispiele.

Aber wie ist es für Jugendliche, wenn plötzlich deutsche Mitschüler Begriffe aus ihrer Muttersprache verwenden?

Angelina (14) hat russische Eltern und findet es eher merkwürdig, wenn deutsche Jugendliche das russische Wort „Bratan“ für Bruder verwenden. „Vor allem, weil sie es halt nicht aussprechen können.“ Vielen anderen Jugendlichen ist das ein bisschen egal, andere empfinden es als gut, dass ihre Muttersprache oder die Sprache ihrer Eltern den monolingualen deutschen Mitschülern nicht mehr fremd ist. Atakan findet es eher witzig, wenn seine Freunde Worte aus seinen Muttersprachen verwenden. Sein Vater ist aus dem Libanon, seine Mutter aus der Türkei. „,Wallah‘ für ,ich schwöre‘ hat eigentlich was mit der Religion zu tun, wird aber oft anders verwendet“, sagt der 15-Jährige. „In Deutschland hat sich das schnell herumgesprochen.“ Allerdings wüssten die meisten Deutschen nicht, dass das Wort einen religiösen Ursprung hat.

„Das bekannteste Wort bei uns ist Digga“, erklärt Atakan. „Das heißt so viel wie Bruder oder Alter.“ Und hat nichts damit zu tun, dass irgendwer dick ist. Wer statt „Digga“, die abgewandelte Form „Diggi“ verwendet, outet sich schon als etwas älteres Kaliber – so wie der 23-jährige Erzieher Basti Kosler. Das finden die Jugendlichen dann „cringe“, ein bisschen peinlich.

Jugendsprache zu konservieren ist so gut wie unmöglich, sagt Sprachwissenschaftlerin Claudia Riehl (siehe Interview). Sobald die Mehrheitsgesellschaft das Vokabular kennt, werden neue Wörter erfunden. Der Slang funktioniert nur, wenn er auch zumindest teilweise eine Geheimsprache ist. Deshalb ist die Sprache der Jugend auch je nach Region, Schulklasse, Bildungsschicht oder Clique unterschiedlich.

In der Gruppe der Schongauer Jugendlichen gibt es so ein paar Beispiele: Isabella (13) hat den Begriff „mrs“ aus dem Serbischen für „hau ab“ eingeführt, Kosta das harmlose Schimpfwort „malaka“ (sinnngemäß: Depp) aus dem Griechischen. Joanna (15) aus Burggen verwendet mit ihren Freunden auf dem Land auch baierische Umgangssprache wie etwa „schiaß ma“ für „gehen wir los“. Immer noch ist auch der Einfluss des Englischen sehr groß. „Wir sprechen Denglisch“, sagt Maya (16). Wer in jemanden verliebt ist, hat einen „crush“, etwas Schickes ist „fancy“. Auch die Wörter „cringe“ und „weird“ verwende sie sehr oft, sagt Vroni (14).

Neben einzelnen Wörtern sind auch bestimmte Formulierungen beliebt. Ein „pick me boy“ oder „pick me girl“ ist jemand, der oder die sich selbst herunterspielt, um Komplimente zu bekommen. „Läuft bei dir“ heißt so viel wie „bei dir ist alles in Ordnung“. „Was wir auch viel verwenden ist: Auf mein Nacken“, sagt Onurcan (14). Das heißt so viel wie „geht auf mich“, der Nacken steht für jemanden oder etwas, das Rechnungen übernimmt.

Die Internetkultur hat einen enormen Einfluss auf Sprache. Vor allem soziale Medien, Deutschrap und Videospiele: Das Wort „sus“ für verdächtig hat es aus dem US-amerikanischen Spiel „Among Us“ in den deutschen Sprachgebrauch geschafft. Der Begriff „kek“ war ursprünglich im populären Spiel „World of Warcraft“ zu finden. Auf Türkisch heißt „kek“ so viel wie Kuchen und wurde über die deutsche Rapszene rund um Bushido und Fler zu einem Schimpfwort, das soviel wie „Möchtegern“ oder „Verlierertyp“ bedeutet. Wörter werden in sozialen Medien oft plötzlich modern. Durch Tik Tok sagen Jugendliche etwa „akkurat“ statt korrekt oder „same“ als Floskel der Zustimmung.

Auch Schreibweisen werden bisweilen verändert. „Ein Youtuber hat immer alles mit Y geschrieben“, erzählt Kosta. So wurde etwa „wild“ zu „wyld“.

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