München – Markus Lerch ärgert sich, wenn er die Nachrichten über die geplanten Lockerungen verfolgt. Er ist ärztlicher Direktor im LMU-Klinikum Großhadern in München. Dort liegen aktuell 98 Corona-Patienten. „Zur Rekordzeit während der ersten Welle waren es 105“, betont Lerch. Diese Zahl sei fast wieder erreicht. In den meisten oberbayerischen Kliniken ist die Entwicklung ähnlich. Seit Mitte Februar steigen die Zahlen der Covid-Patienten im Freistaat kontinuierlich. Allein in der vergangenen Woche um 12,4 Prozent. Die meisten Infizierten müssten zwar nicht mehr auf der Intensivstation behandelt werden, sagt Lerch. Doch der Pflege-Aufwand ist durch die hohen Schutzmaßnahmen enorm.
Dasselbe berichten die Ärzte in vielen anderen Kliniken. „Die meisten Corona-Patienten, die im Krankenhaus landen, sind über 60. Mehr als zwei Drittel sind ungeimpft“, sagt Reinhold Lang, ärztlicher Direktor am Schongauer Krankenhaus. Auch dort ist der Frust bei vielen Mitarbeitern groß, erzählt er. „Ich kann nicht verstehen, dass man über Lockerungen sprechen kann und es gleichzeitig eine Anordnung gibt, weiterhin Operationen zu verschieben“, sagt er. Auch im Münchner Umland sei die Lage in den Kliniken noch immer sehr angespannt. „Der Frust ist riesengroß“, sagt Lang. Die Arbeitsbelastung auch. Denn viele Klinikmitarbeiter fallen aktuell aus, weil sie selbst infiziert sind oder Corona-Fälle in ihrer Familie haben. In Großhadern sind das aktuell 437 von 11 000 Mitarbeitern. „Wir müssen deswegen auch Stationen schließen“, sagt Lerch.
Selbst wenn die Infektionszahlen in den kommenden Wochen sinken, wird die Arbeitsbelastung für Ärzte und Pflegekräfte wohl hoch bleiben. Weil dann lange aufgeschobene Knie-, Hüft- oder Schulter-OPs nachgeholt werden. Das werde Monate dauern. Noch etwas anderes bereitet den Ärzten aber mindestens genauso viel Sorge. Ulrike Witt, die leitende Oberärztin für Notfallmedizin am Klinikum Agatharied im Kreis Miesbach, berichtet, dass zuletzt außergewöhnlich viele Menschen in die Notaufnahme eingeliefert worden seien, deren Therapien wegen der Pandemie zurückgestellt worden waren. Auch in anderen Kliniken ist das bereits aufgefallen. Markus Lerch berichtet, dass die Vorsorge-Untersuchungen in den Praxen um 15 bis 20 Prozent zurückgegangen seien. „Es gibt nicht mehr Krebserkrankungen wegen Corona“, betont er. „Aber es gibt mehr Krebsdiagnosen in fortgeschrittenem Stadium.“ Ähnlich sei die Situation bei herzkranken Patienten.
Auch finanziell haben die Pandemie-Jahre in den Krankenhäusern Spuren hinterlassen. Laut einer Umfrage der Bayerischen Krankenhaus Gesellschaft (BKG) fürchten zwei Drittel der Kliniken rote Zahlen. Schon im vergangenen Jahr hätten 62 Prozent der Krankenhäuser Verlust gemacht. Für dieses Jahr ist die Prognose ähnlich – steigende Energiekosten durch den Krieg in der Ukraine noch nicht eingerechnet. Der BKG-Geschäftsführer Roland Engehausen forderte von der Politik verlässliche Unterstützung. Der Personalstand in den Krankenhäusern sei trotz der enormen Arbeitsbelastung und der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gleich geblieben, berichtet Engehausen. Die Impfquote liege in den Kliniken bei über 95 Prozent. „Der Teamgeist ist durch die Pandemie in vielen Häusern noch größer geworden.“