„Wir müssen Abstriche machen“

von Redaktion

Lange war Christian Bernreiter (CSU) die Stimme der Landräte in Bayern. In der Flüchtlingskrise galt der Deggendorfer als wichtiger Ansprechpartner von Angela Merkel. Jetzt soll der 57-Jährige eine große Baustelle des Kabinetts schließen: Im Bau- und Verkehrsministerium herrschte zuletzt hohe Fluktuation, voran ging wenig. Doch im Interview dämpft Bernreiter allzu große Hoffnungen.

Herr Minister, wann sind Sie zum letzten Mal mit dem Zug von Deggendorf nach München gefahren?

Das weiß ich nicht mehr. Aber ich bin oft von Plattling gefahren – zum Beispiel nach Hamburg.

Man braucht mit dem Zug deutlich länger als mit dem Auto. Das ist symptomatisch für Bayern.

Das stimmt nicht überall. Tatsächlich hängt viel an der Stammstrecke in München. Das ist nicht nur ein Projekt für die Landeshauptstadt, sondern auch für den ländlichen Raum wichtig. Der mehrgleisige Ausbau hinter Freising oder im Raum Bad Tölz macht nur Sinn, wenn die Züge aus der Region dann im Stadtgebiet nicht hinter den S-Bahnen hängen.

Der Spatenstich liegt fünf Jahre zurück. Ist 2028 noch zu halten?

Ich bin in Gesprächen mit der Bahn. Ich bin optimistisch, dass das Projekt insgesamt auf dem Gleis steht, aber wir müssen das verifizieren, da sind Bund und DB-Spitze gefordert.

Sie sind der vierte Minister in vier Jahren. Wie fühlt man sich auf einem Schleudersitz?

Ich fühle mich nicht wie auf einem Schleudersitz. Die Kontinuität kommt über den Beamtenapparat. Ich habe eine hochmotivierte Mannschaft vorgefunden.

Was sind Ihre Ziele?

Ich gehe das ganz pragmatisch an. Da ist eine Aufgabe, die zu lösen ist. Ich verspreche nichts, ich schaue mir das jetzt alles an. Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen, eine Eröffnungsbilanz. Durch den Ukraine-Krieg ändert sich sehr viel. Das Bauen, die Energie, das Material – alles wird teurer, und wir müssen sehen, wie viele Mittel uns langfristig zur Verfügung stehen. Da werden wir als Gesellschaft insgesamt Abstriche machen müssen. Man muss also klar Prioritäten setzen und ehrlich sagen, was geht und was nicht.

Ihre Vorgängerin hatte Ärger wegen der Wohnungsbaugesellschaft „BayernHeim“. Markus Söder hat 10 000 Wohnungen bis 2025 versprochen. Bislang wurden ein paar Hundert gebaut…

Wir haben nahezu 3500 Wohnungen fertig, in Bau, Planung oder Entwicklung. Das ist nach den Anlaufschwierigkeiten ein Wort. Ich sehe vor allem in anderen Bereichen Handlungsbedarf. Und zwar in unserer Mentalität. Alle wollen Wohnungsbau – aber bitte nicht bei mir. Dann heißt es: Hier ist aber eine Hundewiese, dort eine Grünanlage, und außerdem ist die Planung viel zu hoch. So kommen wir nicht weiter.

Was kann der Staat ändern?

Zuständig für die Planungen sind die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Ich appelliere an sie, dass sie ihre kommunale Planungshoheit ausnutzen. Es geht ja nicht nur ums Bauen, sondern auch um Stromtrassen, Verkehrswege, Wasserstoff-Pipelines. Wenn das nicht funktioniert, müssen wir die Planung anders beschleunigen.

Bis hin zur Enteignung?

Nicht fürs Bauen. Aber für Infrastruktur als letzte Möglichkeit schon. Der Staat muss seine Aufgaben erfüllen können – gerade jetzt bei den wichtigen Energiefragen.

Wir wollen Energie nicht nur importieren, sondern auch selbst erzeugen. Müssen wir über eine Solarpflicht auf privaten Neubauten nachdenken?

Warum nicht? Angesichts der neuen Umstände dürfen wir überhaupt keine Denkverbote mehr haben. Wenn das Gas ausfällt, könnte noch dieses Jahr alles stillstehen. Der Wirtschaftsminister muss einen Gesamtplan vorlegen, wie wir das auffangen.

Was halten Sie vom Ampel-Beschluss, dass der ÖPNV drei Monate lang nur neun Euro kostet?

Das ist das falsche Signal. Wir müssen den ÖPNV dauerhaft und verlässlich mit mehr Mitteln vom Bund ausstatten. So ein Schnellschuss zeigt nur, dass der Bund noch kein konzeptionelles Verständnis für den ÖPNV hat.

Wäre ein autofreier Sonntag mal ein Signal?

Ich halte von so plakativen Ideen gar nichts.

Die Grünen denken über ein Tempolimit nach…

…alles nur Verbote.

2018 legte Söder seinen großen Plan vor, dass Bus- und Bahnfahrer in einigen Jahren nur noch 365 Euro für eine Jahreskarte zahlen. Ist das Geschichte?

In Anbetracht der Lage sehe ich das aktuell für alle nicht umsetzbar. Das Ziel besteht weiterhin – aber es wurde unter ganz anderen Rahmenbedingungen ausgegeben.

Ja, im Wahlkampf.

Ernsthaft: Die Lage ändert sich gerade grundlegend.

Die Ampel sagt bei Investitionen „Schiene vor Straße“. Ist das richtig?

Das ist mir zu pauschal. Es gibt in der Schiene viele Vorteile, wenn viele Menschen damit fahren. Es gibt auch bei uns riesige Bahnprojekte wie die Stammstrecke. Weichenstellungen für Jahrzehnte, da muss man für Generationen mitdenken. Aber die ländlichen Räume kann ich nicht überall mit der Schiene erschließen. Interview: mik/cd/dw

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