München – Es war offensichtlich ein langes Gezerre und Gestreite hinter den Kulissen, bis das Erzbischöfliche Ordinariat in München gestern Mittag um 12.20 Uhr in 15 dürren Zeilen mitteilte, dass Kardinal Reinhard Marx der Bitte um Entpflichtung von Prälat Lorenz Wolf als Offizial – also oberster Kirchenrichter – entspreche und das mit sofortiger Wirkung. Auch von der Position als Leiter des Katholischen Büros, der wichtigen Kontaktstelle zwischen Kirche und Politik, zieht sich Wolf zurück. Hier kündigte der Kardinal an, er werde die bayerischen Bischöfe um Zustimmung für die Entpflichtung bitten. Dies kann schon morgen passieren, denn am Mittwoch und Donnerstag kommen die bayerischen Bischöfe zum Frühjahrstreffen in Regensburg zusammen.
Der promovierte Kirchenrechtler Wolf hat zu den Vorgängen eine 19-seitige Stellungnahme verfasst, in der er auf zwei Seiten seine Verantwortung und Fehler um Umgang mit Missbrauchs-Betroffenen bekundet. Er bekenne, „dass ich mich nicht nachhaltig genug an die Seite der Opfer gestellt habe“, erklärt er darin. „Ich werfe mir heute vor, dass ich nicht hartnäckiger versucht habe, meine Haltung in Einzelfällen in Bezug auf Täter konsequenter durchzusetzen.“ Sein größter Fehler sei es „wahrscheinlich, dass ich vielfach zu sehr die Rolle des Vermittlers übernommen habe“. Und dann bittet er die „von sexuellem Missbrauch Betroffenen dafür von Herzen um Vergebung“. Die Anwälte der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) hatten den promovierten Kirchenrechtler in zwölf Fällen kritisiert und ihm vorgehalten, zu sehr zugunsten der Täter gehandelt und sich zu skeptisch gegenüber den Opfern verhalten zu haben.
Richard Kick vom Betroffenenbeirat, der kürzlich erst den Kardinal vehement zur Abberufung von Wolf aufgefordert hatte, zeigte sich gestern auf Nachfrage erleichtert. „Wolf hat in dem Gesamtkontext eine Rolle gespielt, die seit 2010 zu großem Leid bei den Betroffenen geführt hat“, sagt er. Wie Wolf in den Befragungen mit den Betroffenen umgegangen sei, das habe diese regelrecht retraumatisiert. Auch ihn selbst: „Ich hätte mir gewünscht, dass man mich 2010 zumindest angehört hätte, um den Sachverhalt zu verifizieren. Stattdessen wurde ich so hingestellt, als würde ich lügen.“ Bis heute habe der Prälat keinen Kontakt mit dem Betroffenenbeirat gesucht.
Auf die Frage, ob er Wolf verzeihen kann, schweigt Kick lange und ringt nach Worten. „Ich kann ihm nicht verzeihen, aber ich bin befriedet“, sagt er schließlich. Wolf habe so viele Betroffene diskreditiert. Seine Entpflichtung sei nun aber ein wichtiger Schritt in Richtung Ausarbeitung. Es zeige, dass diejenigen, die damals so viel Leid über die Missbrauchsopfer gebracht hätten, nicht sicher sein könnten auf ihren Positionen. „Sie haben nicht gesiegt, sie sind nicht sicher. Die gute Sache siegt“, ist Kick erleichtert. „Heute ist ein guter Tag, für mich persönlich und für die Aufarbeitung.“
Wie man hört, soll Lorenz Wolf auch den Plan aufgegeben haben, das zweite Missbrauchsgutachten juristisch anzufechten. Er listet aber in seiner Stellungnahme Punkt für Punkt alle Vorwürfe der Gutachter auf und erklärt, warum er sich in Einzelfällen für nicht zuständig sieht. Der 66-Jährige, der gesundheitlich angeschlagen sein soll, wehrt sich gegen die Vorgehensweise der Gutachter. Die ihm übermittelten Fragen seien für ihn „eine nicht nachvollziehbare Mischung aus Tatsachen, Unterstellungen, pejorativen Wertungen und fragwürdigen Schlussfolgerungen“. Deswegen habe er anwaltlichen Rat eingeholt. Auch im Fall des Missbrauchs-Pfarrers Peter H. ist sich Wolf keiner Schuld bewusst. Das von ihm gefällte Urteil sei nicht milder gewesen als eine Entlassung aus dem Priesterstand, weil so der Bischof die Aufsicht über den Kleriker behalten, dessen Lebensführung überwachen und seine Pension kürzen könne.
Missbrauchsopfer Kick interpretiert es so, dass Wolf gemeint habe, alle Vorwürfe abzuwehren. Jetzt sei das Ganze in sich zusammengebrochen und „er versucht, sich zu rechtfertigen“.
Kardinal Reinhard Marx indes, der Wolf sogar ein Ultimatum für eine Stellungnahme gestellt haben soll, dankt dem langjährigen Kirchenrichter für die Bitte um Entpflichtung und nennt sie eine „weitgehende und respektable Entscheidung, durch die Sie persönlich Verantwortung übernehmen in Bezug auf den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Bereich der Erzdiözese“.
Sein Amt als Vorsitzender des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks lässt Lorenz Wolf ruhen. Die Amtszeit endet regulär Ende April. Niedergelegt hat der Prälat das Amt nach Informationen des Senders nicht. Bei der Rundfunkrats-Sitzung am Freitag steht die Personalie nicht auf der Tagesordnung. Wolf wollte in den Verwaltungsrat wechseln.