„Ich fühle mich oft ausgegrenzt“

von Redaktion

INTERVIEW Landtag entscheidet gegen monatliches Unterstützungsgeld für Gehörlose

München – Für die rund 8000 gehörlosen Menschen in Bayern war es keine gute Woche. CSU und Freie Wähler haben gegen die Anträge von Grünen, SPD und FDP gestimmt, die für Gehörlose einen monatlichen Unterstützungsbetrag ähnlich dem Blindengeld fordern. Die Staatsregierung hingegen möchte nur einmalig eine Summe von 145 Euro zahlen. Berechtigt ist rund die Hälfte der hörbehinderten Menschen in Bayern. Ob es im kommenden Jahr eine weitere Auszahlung gibt, muss neu diskutiert werden. Die Entscheidung hatte sich bereits vor einigen Wochen im Sozialausschuss angedeutet (wir berichteten). Nun ist das Gehörlosengeld in dieser abgespeckten Form beschlossen worden.

Sabine Jaye hat die Debatte im Landtag am Mittwoch mithilfe eines Gebärdendolmetschers verfolgt. Sie ist seit ihrem vierten Lebensjahr aufgrund einer schweren Krankheit gehörlos. Und sie kämpft mit vielen anderen Betroffenen seit Jahren für mehr finanzielle Unterstützung. Die 56-Jährige aus dem oberfränkischen Burgkunstadt berichtet, wie ein dauerhaftes Gehörlosengeld ihren Alltag erleichtert hätte. Das Interview mit ihr haben wir schriftlich geführt.

Wie oft fühlen Sie sich im Alltag ausgegrenzt, weil Sie nicht hören können?

Häufig. Ich bin Mitglied in vielen Ortsvereinen, zum Beispiel im Obst- und Gartenbauverein oder im Geflügelzüchterverein. In beiden Vereinen ist es mir leider nicht möglich, ehrenamtlich mitzuarbeiten, weil ich Kommunikationsprobleme habe und es im privaten und gesellschaftlichen Bereich keine Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher gibt.

Sie kämpfen seit Jahren für das Gehörlosengeld in Bayern. Warum ist es für Betroffene so wichtig?

Es geht um Teilhabe – im gesellschaftlichen Bereich, aber auch um politische Teilhabe. Ehrenämter, Theaterbesuche, vhs-Kurse – all das ist ohne Gebärdensprachdolmetscher für uns nicht möglich. Wir Gehörlose haben behindertenspezifische Mehrausgaben. Zum Beispiel mehr Stromverbrauch, weil wir mehr Licht brauchen, um Gebärden oder Gesten besser verstehen zu können. Oder höhere Telekommunikationskosten für spezielle Dienste für Hörgeschädigte. Auch Reparaturkosten sind oft höher – zum Beispiel, weil wir nicht hören können, wenn ein Motor nicht mehr richtig läuft. Wir brauchen gelegentlich auch Gebärdensprachdolmetscher, um an Beratungen oder Eigentümerversammlungen teilnehmen zu können. Aktuell möchte ich zum Beispiel meine Ölheizung gegen eine umweltfreundliche Heizung austauschen lassen und brauche eine Beratung. Später auch eine Installation und Bankberatung wegen der staatlichen Förderung. Um das mit Gebärdendolmetscher machen zu können, werden Extrakosten von 800 bis 1000 Euro anfallen. Dieses Geld haben viele Gehörlose nicht.

Die CSU ist nicht grundsätzlich gegen das Gehörlosengeld, will aber nur eine einmalige Zahlung von 145 Euro einführen. Ist das zumindest eine kleine Hilfe?

Eine Stunde Dolmetschereinsatz kostet 85 Euro plus Anfahrtszeit. Diese Einmalzahlung von 145 Euro ist absurd. Wir sind dauerhaft hörbehindert. Über diesen einmaligen Betrag kann ich mich nicht freuen.

Sie kämpfen seit Jahren für ein festes Gehörlosengeld, ähnlich dem Blindengeld. 2019 haben Sie der damaligen Sozialministerin Kerstin Schreyer eine Petition mit 13 000 Unterschriften überreicht. Inzwischen gab es zwei neue Sozialministerinnen. Hat sich die Situation für Gehörlose in Bayern in dieser Zeit verbessert?

Nein. Es ist frustrierend und enttäuschend, wie sich die Staatsregierung immer wieder in Ausflüchte begibt und uns nicht teilhaben lässt. Es geht um unser Menschenrecht, um das Grundrecht „niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Es gibt bereits ein Taub-/Sehbehindertengeld und Taubblindengeld, aber immer noch kein Gehörlosengeld.

Sie verfolgen die politischen Debatten sehr genau – auch die Debatte im Landtag in dieser Woche. Wieder ist das Gehörlosengeld mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Was ging Ihnen durch den Kopf, während Sie die Abstimmung verfolgten?

Die Politiker und Politikerinnen sollen niemals vergessen, dass man sehr selten hörbehindert geboren wird, sondern erst im Laufe des Lebens durch Unfall oder Krankheit das Gehör verliert. Wir fühlen uns als Menschen zweiter Klasse. Wertlos. Wir zahlen Steuern, gehen wählen und stehen dennoch dank der ablehnenden Haltung am Rand der Gesellschaft. Das macht mich sehr traurig.

Gibt es große Unterschiede zu anderen Bundesländern?

In sieben Bundesländern gibt es einen Nachteilsausgleich für Gehörlose.

Werden Sie weiter kämpfen für ein dauerhaftes Gehörlosengeld? Haben Sie noch Hoffnung, dass die Politik Ihnen und anderen Betroffenen mehr Unterstützung im Alltag ermöglicht?

Wir werden weiter kämpfen. Wir haben großen Rückhalt in der Gebärdensprachgemeinschaft und sind ein starkes Team. Aufgeben ist keine Option. Wir geben die Hoffnung nicht auf, möglicherweise gibt es eine Veränderung in der Regierung nächstes Jahr nach den Landtagswahlen.

Interview: Katrin Woitsch

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