„Pfarrer H. zur Rechenschaft ziehen“

von Redaktion

INTERVIEW Michaela Huber, Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, fordert Konsequenzen

Vor knapp einem Jahr ist die Aufarbeitungskommission der Münchner Erzdiözese eingesetzt worden. Sie soll von außen die Bemühungen des Erzbistums unter die Lupe nehmen und Verbesserungen des Umgangs mit Opfern sexuellen Missbrauchs anregen. Im zweiten Jahr will sie sich die im Gutachten der Kanzlei Westphal Spilker Wastl vorgeschlagenen Empfehlungen vornehmen, und den weiteren Umgang mit noch lebenden Tätern, wie Pfarrer Peter H., diskutieren. Wir sprachen mit Michaela Huber, der Vorsitzenden der Aufarbeitungskommission.

Was hat die Kommission seit Mai 2021 geschafft, Frau Huber?

Wir hatten die Besonderheit, dass ein offenes Gutachten im Raum stand. Die Befassung mit den zentralen Fragen – was ist passiert, wie viele Betroffene gibt es, wie ist vertuscht worden, wie viele Täter gibt es? – musste zurückgestellt werden bis zur Veröffentlichung des Gutachtens. Erst am 22. Januar haben wir erfahren, wie die Situation ist. Daher haben wir uns als Erstes mit den Strukturen beschäftigt. Wir wollten wissen, was ist in der Vergangenheit schiefgelaufen? Wie geht heute das Bistum mit Fällen um, wo der Vorwurf des Missbrauchs im Raum steht? Unser großes Ziel ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Strukturen verändert werden.

Was hat die Analyse ans Licht gebracht?

Festgestellt haben wir, dass seit 2010 bereits vieles ins Positive verändert worden ist, dass zum Beispiel eine absolut hervorragend ausgebaute Präventionsstelle existiert, die noch mal mit einer weiteren Person aufgestockt worden ist. Da arbeiten jetzt fünf Leute. Die haben Konzepte entwickelt, nach denen jeder kirchliche Mitarbeiter im pastoralen Bereich eine Ausbildung durchlaufen muss zum Thema Sexualität und sexueller Missbrauch. Es gibt kurze Checklisten für Kindergärtnerinnen, Lehrer, Heimleiter. Prävention: Kein Handlungsbedarf.

Aber bei derzeit aktuellen Fällen?

Es gibt inzwischen drei unabhängige Ansprechpartner für sexuellen Missbrauch. Was ich sehr gut finde, denn das Ordinariat reagiert auf den Bedarf. Aber hier muss was passieren. Es gibt kein genau definiertes Arbeitsprofil und auch keine festgelegte Qualifikation für diese Ansprechpartner in den verschiednen Bistümern. Die einen verstehen sich als Ombudsstelle, die anderen beraten und informieren, aber begleiten nicht.

Welche Folgen hat das?

Das ist problematisch, weil diese Stellen die Anträge der Betroffenen mit entsprechenden Bearbeitungen an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) der Deutschen Bischofskonferenz weiterleiten – und die entscheidet über die Anerkennungszahlung. Wenn die diözesanen Ansprechpartner so unterschiedlich arbeiten, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Fälle von der UKA so unterschiedlich bearbeitet werden. Ein Prozent der Opfer hat 50 000 Euro und mehr bekommen, ein Drittel weniger als 10 000 Euro. Das ist ein großes Thema für uns:Die Stellen müssen vergleichbar gemacht werden. Das läuft bislang nicht. Gut ist indes, dass die Erzdiözese eine zentrale Anlauf- und Beratungsstelle eingerichtet hat. Da kann jeder anrufen, der betroffen ist, der Angehöriger ist oder sich mit dem Thema beschäftigt. Das ist eine völlig offene Hotline, wo sechs höchst qualifizierte Berater sitzen.

Gibt es auch schnelle Hilfe für Missbrauchsopfer?

Zusammen mit dem Betroffenenbeirat haben wir empfohlen, dass auch unabhängige, also kirchenferne Kooperationspartner gesucht werden. Das ist geschehen: Die Diözese hat Verträge mit externen Beratungsdiensten abgeschlossen wie „Wildwasser“ und dem Münchner Männerzentrum. Dort können Betroffene sofort Therapie bekommen oder Hilfe beim Ausfüllen des Antrags für Anerkennungsleistungen. Die brauchen dort nur anzurufen und bekommen in der nächsten Woche einen Termin.

Wo hapert es noch?

Es muss noch mehr aktive Zusammenarbeit mit den Betroffenen geben – von Kardinal Marx und den entsprechenden Mitarbeitern der Erzdiözese, aber auch den Betroffenen untereinander. Deshalb wird es innerhalb der nächsten Monate einen ’Tag der Begegnung’ geben, den wir gerade dabei sind, vorzubereiten. Da wird man sich informieren können, was die Diözese alles macht, an wen man sich wenden kann. Und hier soll zugehört werden, was die Betroffenen zu sagen haben, was ihnen auf der Seele liegt. Ziel ist auch die Erhellung des Dunkelfelds. Es haben sich in unserer Erzdiözese – verglichen mit ganz Deutschland – bisher überraschend wenige Betroffene gemeldet. Die Veranstaltung wird in Präsenz und digital stattfinden.

Was bremst Sie aus?

Die Struktur dieser Kommission ist schwierig. Ursprünglich war gedacht, dass wir uns viermal im Jahr treffen. Wir haben das jetzt sowieso schon auf alle zwei Monate erhöht. Das ist eine reine ehrenamtliche Tätigkeit von Menschen, die beruflich sehr eingespannt sind. Eigentlich wäre das ein Vollzeitjob! So ist es nicht ganz einfach, einen kontinuierlichen, schnellen Prozess hinzukriegen. Wir sind deshalb recht zufrieden, dass wir bisher für die Erzdiözese schon fünf Empfehlungen erarbeitet haben. Alle bisherigen Empfehlungen wurden einstimmig mit den Mitgliedern des Betroffenenbeirats vereinbart. Es läuft also ganz gut.

Was muss Kirche besser machen?

Der Kardinal muss mehr in Kontakt treten mit den Betroffenen. Und das wird er auch tun. Das müssen nicht unbedingt Einzelfallgespräche sein, das kann er nicht leisten. Aber: Man kann davon ausgehen, dass Betroffene in den nächsten Wochen einen Brief von ihm bekommen. Das hätte vielleicht schon eher passieren sollen. Es geht darum, dass die Opfer auch in Zukunft weiter informiert und begleitet werden von der Diözese. Das Erzbistum sollte proaktiv seine Aufarbeitungspolitik darstellen – die ist nämlich sehr, sehr gut. Und die Haltung des Ordinariats uns gegenüber ist hervorragend: Bisher wurden alle unsere Empfehlungen übernommen. Das ist nicht in jeder Diözese so.

Was brennt Ihnen auf den Nägeln?

Der Umgang mit den im Gutachten genannten, noch lebenden Tätern. Das kann man nicht so stehen lassen. Pfarrer H. lebt in Essen ein glückliches Leben. Ich habe da auch schon mit dem Generalvikar Klaus Pfeffer in Essen gesprochen.

Was sollte passieren?

In schweren Fällen gibt es im Kirchenrecht die Möglichkeit, die Verjährungsfrist aufzuheben. Das würde heißen, dass man Pfarrer H. auch jetzt noch zur Rechenschaft ziehen kann. Bis hin zur Laisierung. Wir wollen fragen: Wie geht es hier weiter? Das muss man unbedingt diskutieren.

Was wünschen Sie den Betroffenen?

Ich wünsche, dass sie von der Kirche die Gerechtigkeit erfahren, die sie persönlich brachen. Und sie danach Wege sehen, wie sie aus dem Erlebten wenigstens ein klein wenig heraustreten können.

Interview: Claudia Möllers

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