Hass und Hetze nehmen zu

von Redaktion

VON DOMINIK GÖTTLER

München – Mit einem Großaufgebot rückte die Polizei im vergangenen September in Schechen im Kreis Rosenheim aus. Nach Hinweisen, dass dort an einem alten Bauernhof eine illegale Schule betrieben wurde – mit Verbindungen zur Querdenker- und Reichsbürgerszene. Als Leiterin der Schule trat eine eigentlich im Kreis Ebersberg tätige Grundschullehrerin auf, die seit mehreren Monaten krankgeschrieben war. Gegen die Beamtin wurde Anfang des Jahres ein Disziplinarverfahren eingeleitet, wie die Landesanwaltschaft Bayern auf Nachfrage mitteilt.

Es war nicht der einzige Fall dieser Art in den vergangenen Monaten. In Erlangen wurde Ende Januar eine illegale Schule mit Reichsbürger-Bezug geschlossen. Und in Coburg stellten die Behörden nach einem Reichsbürger-Treffen in einer Waldorfschule Schusswaffen sicher. Das Landesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Reichsbürger-Szene in Bayern mittlerweile rund 4600 Anhänger hat, wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gestern bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts sagte – ein neuer Höchststand.

Der wachsende Zulauf ist durch die Corona-Maßnahmen begünstigt worden, heißt es im Bericht. 425 Straftaten wurden von Anhängern der Szene im vergangenen Jahr verübt, davon 122 politisch motivierte Gewalttaten. Herrmann beobachtet eine „zunehmende Gewaltbereitschaft“. Oberstes Ziel sei, Szenemitgliedern sämtliche Waffen zu entziehen.

Doch nicht nur von Reichsbürgern geht nach Herrmanns Angaben zunehmend eine Bedrohung aus. Hass und Hetze hätten im vergangenen Jahr im Internet, auf der Straße und auch im Privaten ein nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Gerade die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht habe so polarisiert, dass dadurch auch demokratiefeindliche Bestrebungen befeuert wurden. Dabei nahm der Verfassungsschutz auch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in den Blick. Dort seien zwar beileibe nicht alle Maßnahmen-Gegner Extremisten, betonte Herrmann. Aber es habe eine sichtbare Verrohung auf der Straße stattgefunden. Angriffe auf Polizisten und Bedrohungen gegen Politiker, Behördenvertreter und Wissenschaftler hätten zugenommen. Dennoch sei es Rechtsextremen nicht gelungen, über die Corona-Proteste Anschluss ans bürgerliche Spektrum zu finden, sagte Herrmann. Bei rund 3000 Protesten hätten die Verfassungsschützer in 207 Fällen eine Teilnahme von Rechtsextremen festgestellt. Rund 2700 Personen rechnen die Verfassungsschützer in Bayern der Szene zu.

Linksextremisten hingegen haben die kritische Infrastruktur als Anschlagsziel für sich entdeckt, sagte Herrmann. Die Akteure versuchten derzeit, den gesellschaftlichen Protest bei Umwelt- und Klimaschutz-Themen zu radikalisieren. Herrmann fürchtet zudem, dass Linksextreme auch beim G7-Gipfel bei Garmisch-Partenkirchen im Juni versuchen werden, im Schatten der bürgerlichen Proteste neue Anhänger zu gewinnen.

Wachsam müsse der Verfassungsschutz auch wegen des Ukraine-Krieges bleiben. Laut Herrmann eint hier Links- und Rechtsextreme häufig die Ansicht, dass die Nato in dem Konflikt die Hauptschuld trage. Der Innenminister warnte zudem erneut vor russischen Cyberangriffen auf bayerische Behörden und Unternehmen – und vor Fake News aus Russland. „Wir haben bereits die Kapazitäten unserer Cybersicherheits-Behörden erhöht.“

Die Opposition forderte von der Staatsregierung mehr Einsatz im Kampf gegen Extremismus. „Die politische Sprengkraft von Verschwörungserzählungen wird in ihrer Dimension von der Staatsregierung weiter verkannt“, sagte etwa der SPD-Abgeordnete Florian Ritter.

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