Das Leiden Christi nachspüren

von Redaktion

So mancher erlebt an Karfreitag sein persönliches Golgatha – wenn er einen Kreuzweg geht

VON DIRK WALTER

München/Andechs – Wer auf den Riederstein oberhalb des Tegernsee geht, der kommt schon ins Schnaufen, ehe er die Kapelle mit fantastischem Blick auf den See erreicht. Das dürfte ganz im Sinne von Martina Außermeier sein. Die Leiden des Heilands nachspüren, ja nachleiden, das ist für Christen „das Höchste, was man als Mensch erreichen kann“, sagt die Kunstreferentin beim Erzbistum München und Freising.

Und etwas leiden muss man am Riederstein schon. Der Kreuzweg zwischen dem Rasthaus Galaun und der markanten Kapelle am Gipfel ist ziemlich steil. Gut möglich, dass der ein oder andere da an einer der 14 Stationen eine kurze Rast einlegt – und ein Stoßgebet gen Himmel richtet.

Was liegt näher, als sich an Karfreitag auf einen Kreuzweg zu begeben? Ob Spaziergang oder Wanderung – Kreuzwege gibt es in Oberbayern in allen Varianten. Manche Kreuzwege sind uralt, sagt Kunsthistorikerin Außermeier. Auf die Idee, das Leiden Christi auf der Via Dolorosa nachzuempfinden, kamen schon die Franziskaner im 4. Jahrhundert. Da nicht jeder nach Jerusalem pilgern kann, entstanden Ersatzwege, auf denen man das Leiden Christi nachempfinden sollte. Das wiederum ist vor allem dann möglich, wenn man sich anstrengt – weil man bergauf geht. Daher führen die meisten Kreuzwege in der freien Natur auf einen Berg oder zumindest eine Anhöhe.

Es gibt allerdings die unterschiedlichsten Ausprägungen: Auf den Petersberg bei Flintsbach im Inntal windet sich der Stationenweg mit einer beachtlichen Steigerung hinauf – „das sind bestimmt 25 Grad“, vermutet Martina Außermeier. Auch am Riederstein kommt man ins Schwitzen.

Doch nicht jeder Kreuzweg ist gleich ein schmerzhaftes Naturerlebnis. Die Stationen, die von Erling aus – mit der Klosterkirche von Andechs im Rücken – auf eine Anhöhe führen, schaffen auch betagte Herr- oder Frauschaften.

Die Einteilung nach Stationen, zwölf an der Zahl, geht auf einen Theologen namens Adrichomius von 1590 zurück – von der Verurteilung Jesu durch Pilatus bis hin zur Kreuzaufrichtung. Heutige Kreuzwege haben indes meistens 14 Stationen, sind also ergänzt durch Kreuzabnahme und Grablegung – so wurde es durch Papst Clemens XII. 1731 festgelegt. In Oberbayern entstanden seit dem 18. Jahrhundert als Ausdruck einer tiefen Volksfrömmigkeit wohl Dutzende von Kreuzwegen. Manche führen auf einen Kalvarienberg, der Kreuzigungsstätte, also dem Berg Golgatha, nachempfunden. Die Stationen am Kalvarienberg von Berchtesgaden etwa lassen sich auf das 18. Jahrhundert zurückführen. Berühmt ist auch der Tölzer Kalvarienberg, eine steile Anhöhe in der Stadtmitte. Den Kreuzweg auf den Riederstein gibt es seit mindestens 1897 – seit dieser Zeit kümmert sich ein Verein um die rustikalen Kreuzwegstationen. Die Kapelle oben ist aber älter.

Wer es nicht so beschwerlich mag, der geht einfach in eine Kirche. Seit 1700, sagt Martina Außermeier, wurden Kirchenräume mit Kreuzwegstationen ausgestattet. Die Kreuzwege in den Gotteshäusern sind meist jüngeren Datums.

Besonders gelungen findet Kunsthistorikerin Außermeier den Kreuzweg in der modernen Herz-Jesu-Kirche in München-Nymphenburg. Er zeigt dort nicht, wie allgemein üblich, Jesus auf seinem Leidensweg – sondern die heutige Via Dolorosa in Jerusalem mit Passanten und Touristen.

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