Die Frau, für die immer Ostern ist

von Redaktion

VON KATHARINA BRUMBAUER

Olching – Mariele Berngeher greift zu einer stärkeren Brille. Wenn sie ein Ei bemalt, muss sie ihre feinen Pinselstriche gut erkennen können. Die 69-Jährige zieht zwischen ihren vielen Pinseln ein weiches Exemplar aus Rotmarderhaar heraus. In einem Karton, der am Boden steht, wühlt sie nach der passenden Farbtube. Sie sitzt an einem Schreibtisch, auf dem frische Blumen stehen. Von einem Foto am Fenster blicken ihre zwei Töchter entgegen. Aus dem Radio vom Regal ertönt sanfte Popmusik.

Mit kleinen Utensilien hat sich Berngeher unter dem Dach einen Ort geschaffen, an dem sie entspannen und konzentriert arbeiten kann. Hier ist das ganze Jahr Ostern. Aus einem Korb nimmt sie sich ein Wildenten-Ei. Mit ruhiger Hand malt sie darauf die filigranen Äste eines Baumes. Daneben auf der Wiese soll ein Mädchen mit Gänsen spielen. Wenn es ihr gefällt, lässt Berngeher noch einen Jungen auf dem Fahrrad vorbeifahren. „Ich will Geschichten erzählen“, sagt die Kunsthandwerkerin aus Olching (Kreis Fürstenfeldbruck). Und die kann sie endlich wieder einem großen Publikum zeigen.

„Wegen Corona lag alles brach“, bedauert Berngeher. Ostermärkte finden erst nach und nach wieder statt. „Es ist schade, wenn alles im Keller liegt.“ Dort hütet die gelernte Kindergärtnerin nicht nur Eier, die sie mit Oster-, Natur- oder München-Motiven verziert hat. Neben Osterlämmern und dem Englischen Garten hat sie schon den Viktualienmarkt oder Schäffler-Tänzer abgebildet. Auch Gemälde sowie handbemalte Uhren, Taschen, Tassen und Tabletts warten auf Bewunderer. Die sind ausdrücklich willkommen. Kaufen müssen die Besucher nichts. Wichtig ist der Malerin, dass ihre Werke Beachtung finden.

Besonders stolz ist Berngeher auf ihre Bandel-Eier. Die zeigen nicht nur auf der Schale mal klassisch österliche, mal spitzbübische Motive. Im Ei steckt ein Seidenband, das man durch einen Schlitz ausrollen kann und auf dem die Olchingerin eine Geschichte gemalt hat. Sie hält etwa ein Ei in der Hand, auf dem ein einzelner Hase neben einem Busch sitzt. Wenn sie das Band rauszieht, hoppelt auf einmal eine ganze Herde Kaninchen über die Wiese. Ein anderes Ei zeigt Kinder auf einem Karussell. Rollt die Kunsthandwerkerin das Band aus, tut sich ein buntes Jahrmarkttreiben mit Ballon-Verkäufern und Familien auf.

Wenn Berngeher das Band fertig bemalt hat, muss sie es präparieren, damit es nicht bricht. Wie sie das macht, bleibt Betriebsgeheimnis. Anschließend fräst sie in die Eierschale vorsichtig einen Schlitz. Unten bekommt das Ei ein Loch, über das sie einen Stab mit Kurbel einschiebt. Und dann kommt der schwierigste Teil. Für den schaltet die Olchingerin sogar die Musik aus. Sie muss das Band ins Ei stecken und blind auf die Kurbel rollen. „Das ist eine Fummelei, da muss ich wirklich konzentriert sein.“

Wie lange sie an einem Ei sitzt? Die dreifache Großmutter zählt nicht mehr die Stunden. Wenn sie malt, vergisst sie eh die Zeit. Schon wenn sie über eine Schale fährt und merkt, wie unterschiedlich sich ein winziges Zwergwachtel- oder ein großes Straußenei anfühlen, versinkt sie in ihrer Arbeit. „Ich will dieser schnelllebigen Zeit etwas entgegensetzen.“ Die Kunst ist für sie Ruhepol und Leidenschaft zugleich.

Berngeher hat schon als Jugendliche gerne gemalt. „Ich weiß nicht, woher das kam, aber ich hatte das immer in mir.“ Zunächst malte sie ausschließlich Bilder. Ein Ei war für sie noch kein Kunstobjekt. Bis eine Freundin sie vor 30 Jahren fürs Eiermalen begeistern konnte.

Berngeher hat sich die richtige Technik mit Geduld und Mühe erarbeitet. In den ersten Jahren gingen noch viele Eier zu Bruch. Mittlerweile hat sie bundesweit auf Ostermärkten ausgestellt und sich einen Namen gemacht. Mit ihren Bandel-Eiern hat sie sich von den Konkurrenten stets abgehoben. Natürlich hat sie Lieblingsstücke, die sie nie verkaufen könnte. Die wandern in eine Vitrine. Und ein besonderer Glücksbringer, ein sogenanntes Fruchtbarkeits-Ei aus Elfenbein, ziert ihre Halskette.

Für das Malen hat die Olchingerin einst ihren sicheren Job in einem städtischen Kindergarten in München aufgegeben. Ihr Mann unterstützt sie, damit sie Tag und Nacht ihre Kunst im Kopf haben kann. Neulich im Bett kam ihr die Idee, ein Ei in den Nationalfarben der Ukraine zu bemalen. Als Symbol für den Krieg wickelte sie Draht um ihr Werk. „Ich will, dass es gut endet. Deswegen habe ich eine Friedenstaube dazugesetzt.“ Wenn sie ihre Gefühle mit dem Pinsel ausdrücken kann, empfindet sie Glück. „Solange ich meine Hände spüre, male ich.“

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