Das Rätsel um Herrn Jordan und seinen Sohn

von Redaktion

München/Waakirchen – Soldaten des 522nd Field Artillery Battalion der US-Armee hatten in den letzten Apriltagen 1945 einen besonderen Auftrag: Sie hetzten durch das Oberland, auf der Suche nach Überlebenden des Dachauer Todesmarsches. Mehrere tausend KZ-Häftlinge waren, wie bekannt, vom KZ Dachau aus Richtung Süden getrieben worden.

Bei Waakirchen (Kreis Miesbach) holten Soldaten dieser Einheit eine kleinere Kolonne ein. Dabei entstanden auch Fotos. Eines zeigt mehrere Häftlinge in KZ-Kleidung, neben ihnen brennt ein Feuer, denn es war in diesen Tagen bitterkalt, zuletzt hatte es sogar geschneit.

Als unsere Zeitung das Foto vor zwei Jahren abbildete, meldete sich Gabriele Netzer aus München und berichtete, ihre Mutter Juliane habe zwei der Häftlinge erkannt: „Der Jüngere ist Heiner Jordan, der neben ihm sein Vater.“ Die Geschichte ist kurz gefasst so:

Nach Kriegsende wohnten die Jordans in München-Moosach im selben Haus wie Juliane Netzer, die damals 16 Jahre alt war. Sie waren in dem Haus untergekommen, weil dort kurz zuvor deren Großvater gestorben war und „einfach ein Bett frei war“. Vater Jordan, von dem kein Vorname überliefert ist, war Friseur und stammte aus Polen, berichtet Gabriele Netzer. Er verdingte sich bei den Amerikanern als Friseur und machte wohl auch auf dem Schwarzmarkt in der Münchner Möhlstraße Geschäfte. Bald fanden die Jordans eine andere Bleibe – in der Borstei. Doch eines Tages, im Herbst 1945, kamen die beiden zu einem Abschiedsbesuch vorbei: Sie würden nach Kanada auswandern, erzählten sie. Ein Abschiedsfoto entstand – dann verlor sich die Spur der beiden. Die Netzers haben nie wieder etwas von ihnen gehört.

Kann die Geschichte so stimmen? Sie klingt plausibel, aber Gabriele Netzer gibt gerne zu, dass ein reiner Fotovergleich nur ein vages Indiz ist. Die KZ-Gedenkstätte Dachau hat keinen Häftling Jordan verzeichnet. Allerdings wurden die Todesmarsch-Häftlinge damals kaum registriert. Eine Anfrage beim Montreal Holocaust Museum, der größten kanadischen Recherchestelle, blieb ebenfalls ohne Ergebnis. Gabriele Netzer hat indes nur eine vage Hoffnung: dass jemand zu den hier abgebildeten Fotos weitere Hinweise geben kann. DIRK WALTER

Film zum Todesmarsch

Der Filmemacher Max Kronawitter hat einen Film über den Dachauer Todesmarsch gedreht, der nun auch in den Kinos gezeigt wird. Nächste Termine: heute Kino Wolfratshausen (19.30 Uhr), 29.4. Bürgerhaus Degerndorf/Münsing (19 Uhr), 30.4. Adolf-Hölzel-Haus Dachau (19.30 Uhr).

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