„Der Mann steht doch vor dem Ruin“

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München/Passau – 729 657,08 Euro – das ist exakt der Betrag, den Egon Johannes Greipl zahlen soll. Der Passauer leitete von 1999 bis zur Pensionierung 2014 als sogenannter Generalkonservator das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (LfD). In seiner Amtszeit entstand eine digitalisierte Denkmalliste: Über den „Bayern Viewer“ lässt sich jeden Denkmal in Bayern im Internet anklicken, es gibt Fotos und Infos. Bei einer Präsentation würdigte der damalige Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) die Arbeit als „Service für Bürger und Wirtschaft“ und „Schritt zu mehr Bürgernähe und Transparenz“. Der Bayern Viewer ist deutschlandweit einzigartig – aber das Mammutwerk konnte in einer Zeit, in der die Staatsregierung von Edmund Stoiber unter dem Eindruck einer globalen Finanzkrise an allen Ecken und Enden den Rotstift ansetzte, wohl nur entstehen, weil Greipl Mitarbeiter über insgesamt rund 90 Werkverträge anstellte. Und das auch noch, nachdem ihm LfD-Experten dringend abgeraten hatten. „Natürlich hat er fahrlässig gehandelt“, sagt der Münchner Rechtsanwalt Florian Besold, der den Verfassungsverein Bayerische Einigung leitet und sich nun für Greipl engagiert.

Denn Greipls hemdsärmelige Vorgehensweise hatte für ihn bittere Folgen, als ein mehrmals befristet beschäftigter Mitarbeiter klagte und schließlich Recht bekam. Solche Kettenverträge sind unzulässig. Durch ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts in Regensburg wurde Greipl schließlich Anfang 2019 zu der hohen sechsstelligen Schadensersatz-Zahlung verdonnert – weil der Freistaat in dieser Höhe Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss. Es könnte noch dicker kommen: Seit 2020 ist ein Verfahren vor dem Münchner Amtsgericht wegen Verdachts auf Vorenthalt und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in 27 Fällen anhängig, wie die Staatsanwaltschaft München I bestätigt. Greipl hat 2021 einen schweren Schlaganfall erlitten, der Prozess konnte noch nicht stattfinden.

Große Reichtümer hat der ehemalige Staatsbedienstete wohl nicht angehäuft, berichten Weggefährten. Die Anwaltskanzlei, die Greipl vertritt, hält den Rückzahlungsbetrag für „zweifellos existenzvernichtend“. Anwalt Besold sieht es so: „Der Mann steht doch vor dem Ruin, wenn das brutale Mittel der Vollstreckung durchgesetzt wird.“

Jetzt aber gibt es Unterstützung für Greipl. Seine Anwaltskanzlei hat eine Petition beim Bayerischen Landtag eingereicht, in der sie den Freistaat auffordert, auf diese Vollstreckung zu verzichten. Besold hat dazu eine sogenannte Unterstützungsschrift verfasst, die zahlreiche Bekannte Greipls unterzeichneten, etwa die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, und der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Maier. Nicht Greipl habe gegen Pflichten verstoßen, argumentiert Besold, sondern die Staatsregierung, „indem sie den Vollzug des Denkmalschutzgesetzes mit ihren Etatkürzungen praktisch unmöglich machte“. Sanne Kurz, Kulturpolitikerin der Grünen, hält den Fall Greipl für symptomatisch. Werkverträge seien bei Museen und Akademien weit verbreitet – „anstelle die Leute ordentlich anzustellen, hält man sie mit Drei-Jahresverträgen hin.“

Manche beschreiben Greipl als eigenwillig, andere als Haudegen. Auch Parteigänger der CSU ist Greipl nicht – sondern der kleinen ÖDP, für die er bis 2020 auch im Passauer Stadtrat saß. Er eckte bei der örtlichen CSU ebenso an wie bei der Landespolitik – der er zum Beispiel Untätigkeit gegenüber dem „Flächenfraß“ an der bayerischen Landschaft vorwarf.

Dass Greipl haarsträubende Fehler gemacht hat, räumen im Gespräch mit unserer Zeitung viele Wegbegleiter ein. Auch Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) geht von Fehlverhalten aus. Einerseits. Andererseits denke er schon, dass „man eine Lösung finden kann, die nicht existenzvernichtend ist“. In Briefen an Ministerpräsident Markus Söder und Wissenschaftsminister Markus Blume (beide CSU) bittet Waigel, den Fall wohlwollend zu prüfen. Von Greipl so eine Summe zu fordern, „halte ich für unangemessen und unverhältnismäßig“, sagt er gegenüber unserer Zeitung. Der ehemalige Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) sieht es ähnlich. Er habe „großes Verständnis“ für die Petition.

Nun ist der Landtag am Zug – die Petition soll im Ausschuss für den öffentlichen Dienst behandelt werden. Egon Johannes Greipl erholt sich derweil langsam von seinem Schlaganfall. Er sei nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen, sondern übe „den aufrechten Gang“. Über die fast 1000 Unterstützer sei er sehr froh. „Ich sehe einen Hoffnungsstreifen am Horizont.“

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