München – Im Juli 1944 ist der Krieg längst auch in München angekommen. Es reiht sich Luftangriff auf Luftangriff, was den Einwohnern bisher nur durch Berichte von der Front bekannt war, erleben sie jetzt auch in der vertrauten Heimat: Todesangst, Gräuel vor der Haustür. Auch der Münchner Kardinal, Michael von Faulhaber, damals 75 Jahre alt, harrt in München aus. Immer wieder muss er wegen der Angriffe in Bunker flüchten. Das bezeugen auch seine Tagebücher, die seit 2015 in einer Online-Edition durch das Institut für Zeitgeschichte und den Münsteraner Lehrstuhl für Kirchengeschichte mustergültig zugänglich gemacht werden. Die Historiker müssen dazu die Notizen Faulhabers in der Gabelsberger Kurzschrift quasi übersetzen.
Nun sind drei weitere Jahrgänge freigeschaltet: die Jahre 1942 bis 1944, die (wie auch anders?) ganz von den Kriegserfahrungen geprägt sind. Allerdings zeigen die Jahrgänge auch einen halsstarrigen Faulhaber, der sich zu den NS-Verbrechen zweideutig verhält und selbst das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 scharf ablehnt.
„Alarm über zwei Stunden“, notiert Faulhaber bereits im März 1943. „Eineinviertel Stunden Trommelfeuer mit schweren Einschlägen, daß der Boden und die Eisentüre zittern.“ Im Februar 1944 berichtet er über einen Rundbrief des NS-Gauleiters Paul Giesler, wonach Frauen und Kinder aus der Innenstadt evakuiert werden sollen. „Darüber große Unruhe und neue Panik.“ Am 25. April 1944 heißt es im Tagebuch: „1.00 Uhr Sirene zum Alarm für den furchtbaren Überfall, in der Hauptsache Brandbomben auf München. In drei Wellen (…) Ordinariat ausgebrannt.“
Parallel dazu erreichen den Kirchenmann Berichte über Deportationen Münchner Juden, die im November 1941 beginnen – zunächst meist ins KZ Theresienstadt. Angehörige, die Faulhaber mit der Frage konfrontieren, „ob gar nichts zu machen sei“, werden ausweislich des Tagebuchs knapp abgewiesen: „leider nicht“.
Am bezeichnendsten für die Haltung Faulhabers gegenüber dem NS-System sind aber sicher die Notizen nach dem 20. Juli 1944 – nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler durch die Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. „Heute alles nervös, weil das ruchlose Verbrechen, das Attentat auf den Führer bekannt wurde“, heißt es am 21. Juli im Tagebuch. „Es soll von Offizieren ausgehen. Himmler Oberbefehlshaber des gesamten Heimatheeres. Motorräder rasen.“
Das Hitler-Attentat – ein ruchloses Verbrechen? Eine solche Einschätzung würde man vielleicht von einem blindgläubigen Nazi-Fanatiker erwarten, nicht aber vom obersten Katholiken Bayerns. Zwar ist Faulhabers Hitler-Gläubigkeit schon in früheren Tagebuch-Bänden auffällig – er hielt sich seit einer persönlichen Unterredung auf dem Obersalzberg 1936 wohl für fähig, den Diktator mäßigen zu können. „Ich schätze ihn persönlich sehr hoch, als wirklichen Staatsmann, will keine Vernichtung der Kirche“, hatte er zum Beispiel 1937 geschrieben. Dennoch verblüfft, dass er im Angesicht der totalen Katastrophe einen Tod des Diktators nicht wünschte.
Peer Volkmann, Projektkoordinator der Edition, hat dafür nur eine Erklärung: Faulhaber sah Hitler als „gottgegebene Autorität“ an. Dazu passt ein bereits 1978 publizierter „Entwurf“ Faulhabers über den 20. Juli 1944, in dem er ausgerechnet zum Hitler-Attentat das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ ins Feld führt. Die geplante bischöfliche Verlautbarung wurde zu Kriegszeiten nicht mehr veröffentlicht, sie hätte den Machthabern aber gefallen. .„Das 5. Gebot“, so heißt es darin, „prägt jedem das Kainsmal auf, der einen Mord gegen einen Mitmenschen plant oder gar durchführt oder im Komplott mit anderen an der Vorbereitung eine Mordes teilnimmt.“ Selbst einen Massenmörder also durfte man laut Faulhaber nicht töten.
Wie eingeschränkt der Horizont Faulhabers damals schon war, zeigt ein weiterer Tagebuch-Eintrag vom 21. Juli 1944. Faulhaber berichtet hier über die Entschärfung eines Blindgängers in der Promenadestraße – „sechs Tage war die Straße gesperrt. Dachauer lösten einander ab. Es wurde ausgegraben.“ „Dachauer“ – damit waren KZ-Häftlinge aus Dachau gemeint. Dass Faulhaber deren Schicksal irgendwie rührte, ist zumindest hier nicht ersichtlich. Der leidenschaftslose Begriff „Dachauer“ auf der einen Seite, die Empörung über das „ruchlose Verbrechen“ auf der anderen Seite – größer könnte der Kontrast nicht sein.
Mit den Bänden 1942 bis 1944 ist jetzt der gesamte Faulhaber in der NS-Zeit dokumentiert. Was noch fehlt, sind die Bände über die Weimarer Republik, die jetzt folgen sollen. 2025 wird das Editions-Projekt abgeschlossen sein. Was dann noch aussteht, ist eine große, alle Facetten des Kirchenmannes berücksichtigende Faulhaber-Biografie.
Die Edition
im Internet: www.faulhaber-edition.de