Geflüchtete im Bürokratie-Chaos

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH

München – Peter Schadls Arbeitstage sind aktuell zehn Stunden lang. Bei seinen Kollegen ist es ähnlich. Wie viele andere Jobcenter in Bayern stehen sie in Dachau gerade vor einem Berg an Arbeit. Das hat mit einem Gesetz zu tun, das noch nicht mal beschlossen ist. Zum 1. Juni soll die Zuständigkeit für Geflüchtete aus der Ukraine wechseln. Sie bekommen ihre Unterstützung nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – sondern nach dem Sozialgesetz. Damit sind nicht mehr die Ausländerbehörden zuständig, sondern die Jobcenter. Auf lange Sicht soll dadurch vieles vereinfacht werden. Jetzt bedeutet die Änderung aber vor allem eines: viel Papierkram.

Wie viele Anträge und Formulare die Ukrainer ausfüllen müssen, um ab Juni Leistungen zu bekommen, weiß aktuell noch niemand. Anfangs habe es so ausgesehen, dass die Daten vom Landratsamt nicht digital ans Jobcenter weitergeleitet werden können, berichtet Schadl. Datenschutz. „Es hieß, alle müssen händisch neu erfasst werden.“ Inzwischen habe sich nach vielen Telefonaten herausgestellt, dass es doch geht, berichtet er. Schadl geht aber nicht davon aus, dass sich das in allen Jobcentern Bayerns bereits herumgesprochen hat.

Und selbst wenn die Daten übertragen werden, bleibt noch jede Menge Papierkram. Die Ukrainer, die bereits Leistungen beziehen (im Kreis Dachau sind das rund 1400 Personen), sind bereits vom Jobcenter angeschrieben worden. Sie müssen online einen Antrag ausfüllen. Und eine sogenannte Fiktionsbescheinigung vorlegen. Sie bestätigt, dass ein Antrag auf Aufenthalt in Deutschland gestellt wurde. Außerdem müssen sie einen Mietvertrag vorlegen, falls sie schon eine Wohnung gefunden haben, und eine Mitgliedsbescheinigung einer Krankenkasse. Die Formulare seien mit vier Seiten zwar bewusst kurz gehalten, erklärt Schadl. Sie enthalten aber einige Anlagen. Und das wohl größte Problem: Sie sind nur auf Deutsch verfasst. Ohne Helfer wird es kaum einem Flüchtling gelingen, sie fehlerfrei auszufüllen. Darauf sind die Jobcenter vorbereitet. Mitarbeiter sind in den Sprechstunden der Beratungseinrichtungen vor Ort und helfen bei den Anträgen, sagt Schadl. „Wir werden die Leistungen auch vorläufig bewilligen, wenn nicht auf Anhieb alles perfekt ausgefüllt ist“, sagt er. Trotzdem rechnet er für die kommenden Wochen mit einem Berg an Überstunden für sich und seine Kollegen.

Auch in anderen Jobcentern sind die Mitarbeiter nervös geworden, als sie Anfang April erfuhren, dass sich Bund und Länder auf diesen Zuständigkeitswechsel geeinigt haben. Allein in München beziehen aktuell 20 000 Ukrainer Leistungen, berichtet Frank Donner, Sprecher des Jobcenters. „Grundsätzlich begrüßen wir, dass für sie nun die Jobcenter zuständig sind. Das erspart Wege – alle Hilfen kommen dann aus einer Hand.“ Auch in München ist aber noch unklar, welche und wie viele Daten digital übermittelt werden können. „Wir sind gewappnet für das, was auf uns zukommt“, betont Donner. Aber stemmen kann das Münchner Jobcenter das nur durch Neueinstellungen und Rekrutierungen von Mitarbeitern aus anderen Abteilungen. „Aktuell laufen die Vorbereitungen dafür ohne Gesetzesgrundlage.“ Verabschiedet werden soll die neue Regelung in der letzten Mai-Woche. Solange können die Jobcenter mit den Vorbereitungen aber nicht warten, wenn die Leistungen Anfang Juni ausgezahlt werden sollen.

Landkreise, Städte und Gemeinden sind von der Änderung alles andere als begeistert. Auch für sie ändern sich Zuständigkeiten. Denn solange die Geflüchteten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt werden, ist der Bund zuständig. Nun ist aber völlig offen, wie viel Geld es künftig vom Bund geben wird. Formal wären zunächst Landkreise und kreisfreie Städte in der Pflicht. Wenn die Geflüchteten keine Wohnung finden, wovon in den meisten Fällen auszugehen ist, würden sie als obdachlos gelten – dann wären die Kommunen in der Pflicht. Soweit werde es natürlich nicht kommen, erklärt Wilfried Schober, Sprecher des Gemeindetages. In Bayern haben sich Freistaat und Kommunale Spitzenverbände darauf geeinigt, dass die Regierung die Kosten für die Unterbringung trägt. Offen ist aber, wer die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch bezahlt. Würde der Bund sich komplett zurückziehen, wären die Kreise und Städte überfordert. „Letztendlich können sie die Kosten über eine Erhöhung der Kreisumlage auf die Gemeinden umlegen.“ Aus kommunaler Sicht sei die Änderung der Zuständigkeit keine gute Entscheidung, betont Schober. „Bisher war klar der Bund in der Pflicht. Außerdem gibt es weniger Konfliktpotenzial mit den anderen Flüchtlingen, wenn alle nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden, sagt er. Und langfristig werden viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wohl in Flüchtlingsunterkünften landen.

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