KOLUMNE

VON SUSANNE BREIT-KESSLER Schnabel halten ist passé!

von Redaktion

Die Passionsspiele in Oberammergau stehen seit acht Jahren auf der Liste. Das Spitzenklöppeln im Oberpfälzer Wald kam 2016 dazu. Natürlich gehören Flussfahrten auf Isar und Loisach genauso wie die Schafhaltung zu den einheimischen Ausdrucks- und Lebensformen, die laut Bayerischem Landesverzeichnis für die Aufnahme in das immaterielle Kulturerbe der Unesco infrage kommen. Dieses Kulturerbe umfasst Bräuche, Rituale, Feste, Tanz, Theater und Musik genauso wie traditionelles Handwerk und Erfahrungs- und Naturwissen. Eine bierernste Sache. Daneben kann natürlich jedes Land selbst entscheiden, was als eigenes Kulturerbe nicht attackiert werden darf. Frankreich hat das letztes Jahr gemacht – vielleicht beflügelt dadurch, dass die französische Küche zum immateriellen Welterbe gehört. Es gibt ein „Sinnes-Erbe“ in der Grande Nation, das Geräusche und Gerüche auf dem Land schützt. Wer blökt, kräht und muht, kann nicht mehr einfach vor den Kadi gezerrt werden. Schafe, Hähne und Kühe haben jetzt freie Meinungsäußerung. En passant werden das Läuten von Kirchenglocken, das Zirpen von Zikaden und Quaken von Fröschen oder der Duft von Schweine- und Pferdeställen ebenfalls zum sinnlichen Kulturerbe erklärt.

Gestartet hatte die Initiative laut Agence Presse France der Landwirt und Bürgermeister eines 400-Seelen-Dorfes im Südwesten Frankreichs, Bruno Dionis du Séjour. Er hatte sich gegen „zuagroaste“ Landsleute gewandt, die der Ruhe und der guten Luft wegen aufs Land ziehen „und dort entdecken, dass Eier nicht auf Bäumen wachsen“. Monsieur Le Maire erfuhr viel Zuspruch bis hin zum Parlament und seiner Gesetzgebung. Die Freien Wähler müssen auf Begeisterung für ihre Idee, bayerische Gerüche und Geräusche gesetzlich zu schützen, noch warten. Auch hierzulande wird munter geklagt gegen ländliche Akustik.

Obendrein gibt es fast nichts, was olfaktorisch unumstritten ist. Diese Zeitung berichtete letzten Sommer von juristischen Zetereien um eine Backstube in Rottach, die Brauerei in Seeon und einen Kasladen. Schmecken tut’s ja, aber dass es auch noch riecht? Auf unserem Münchner Bauernmarkt ist „regional“ sehr gefragt. „Mir ist so wichtig, dass die Tiere gut leben“, sagt eine Kundin. Aber es gilt halt nach wie vor das Prinzip „Heiliger Sankt Florian, verschon unser Haus, zünd’ andre an!“. Die Viecher sollen draußen sein dürfen – aber nicht in der eigenen Nähe. Und: Maul oder Schnabel halten! Landwirte müssen laut- und geruchlos arbeiten und nie dann, wenn man auf dem Balkon sitzt. Vielleicht bräuchte man neben dem „sensorischen Kulturerbe“ auch noch ein intellektuelles. Und ein kommunikatives, das dafür sorgt, dass man vernünftig miteinander redet, statt sich zu verklagen.

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