Birkenstein – Ganz weg waren die Trachtler nie. Selbst voriges Jahr stieg eine kleine Delegation des Oberlandler Gauverbands diesen Weg hinauf, der zum Ende hin die Hax’n brennen lässt. Ein paar Gruppen feierten mit Wallfahrtskurat Hans Schweiger die Messe vor der Kapelle in Birkenstein bei Fischbachau (Kreis Miesbach). Inoffiziell natürlich und mit gehörig Abstand. Mit der großen Trachtenwallfahrt und den über 2000 Gästen aus allen Winkeln des Gaus von Penzberg bis Bad Aibling hatte das nichts gemein. Zwei Jahre hintereinander verhinderte die Pandemie den Glaubensgang zur Pilgerstätte. „Einige haben festgestellt, dass die Wallfahrt ihnen abgeht“, sagt Georg Englhart, der neue Vorsitzende des Gauverbands. Sie haben es nicht ausgehalten ohne die Tradition, die es nun seit 99 Jahren gibt und die an Christi Himmelfahrt wieder auflebt.
Georg Englhart, den alle nur Schorsch nennen, ist jetzt 55 Jahre alt. Mit acht, schätzt er, zog er zum ersten Mal vom Sportplatz in Fischbachau los. Seither jedes Jahr. Auf diesem Weg, sagen viele, lässt man die Welt, wie sie unten ist, zurück. Keiner, sagt Schorsch Englhart, geht hinauf, weil’s der Trachtenverein so will. „Das ist keine Gaudi-Veranstaltung.“ Die Tachtler, die tief verwurzelt sind in der bäuerlichen Bevölkerung Bayerns, gelten als gläubige Menschen. Englhart wird am Donnerstag für seine Familie beten, für seine Gesundheit und für die Vereinsmitglieder, die nicht mehr mitkönnen, weil sie den steilen Berg, 850 Meter über dem Meer, nicht mehr derschnaufen. „Die haben wir in Gedanken dabei“, sagt der Trachtlerchef.
In der Pandemie hat Hans Schweiger, der Gastgeber in Birkenstein, ihnen eine meditative Wallfahrt geschrieben. Darin beschreibt er sehr schön den Weltenwechsel. „Man lässt die Niederungen des Alltags hinter sich“, erklärt er. Der Kurat ist überzeugt, dass es kein Zufall war, dass sie 1710 die heutige Wallfahrtskapelle errichteten, nachdem der örtliche Pfarrer 1663 in einer Traumvision den Bauauftrag der Heiligen Mutter Gottes erhalten haben soll. Wallfahrtsorte wie Birkenstein sind die geistlichen Zentren ihrer Region. Hans Schweiger nennt sie „Zuckerl des lieben Gottes“, an denen die Gnade des Herrn direkt überfließt.
Auf dem Tisch in seinem Gästezimmer liegt die Chronik des Oberlandler Gauverbands, gedruckt im Jahr 1999. Mehrere Seiten widmeten die Trachtler der Wallfahrt, nach dem Gaufest die zweitgrößte Zusammenkunft der 47 Vereine. Die alten Zeilen lesen sich doch so aktuell: Krieg, Seuche, Geldentwertung – „in solchen Zeiten klammern sich die Menschen noch fester an den Herrgott, weil der Glaube am ehesten Trost spenden kann“. Genauso steht’s im Werk der Trachtler über die Entstehung der Wallfahrt im Jahr 1923. „Das ist keine Folklore-Geschichte, sondern hat seine Wurzeln in der Trauer der Menschen“, sagt der Kurat. Trachtenvorstand Schorsch Englhart weiß von einigen, die am Donnerstag unbedingt mitkommen wollen, weil sie sich beim Herrgott bedanken möchten, „dass sie so gut durch die schwere Zeit gekommen sind“.
In den vergangenen Wochen blühte die Kultur der Trachtler wieder auf. Egal wo Schorsch Englhart vorbeischaute, „alles sehr gut besucht“. Das Bedürfnis nach Gesellschaft, nach Musik, nach Ratsch und Kameradschaft ist unter den Trachtlern deshalb so groß, weil sie sich darüber identifizieren. Wer sein Festtagsgewand anzieht, ist Trachtler – und nicht mehr Arzt oder Bauer. Die Menschen, sagt Schorsch Englhart, wollen raus. Für Donnerstag erwartet er sogar mehr Wallfahrer als früher, über 2000. Manche, wie ein Teil der Aiblinger Trachtler, kommen den ganzen Weg zu Fuß. Egal bei welchem Wetter, einmal sogar im Schnee. Ausgefallen ist die Wallfahrt nur im Krieg.
Nach der Messe verteilen sich die Trachtler auf die Wirtshäuser im ganzen Loisachtal, feiern Vatertag. Manche Vereine steuern seit Jahrzehnten dasselbe Lokal an, müssen nicht einmal mehr reservieren. Schorsch Englhart ist nicht der Einzige, der sich den Freitag danach freigenommen hat. So tief verankert ist die Tradition. Mit einem Brauch wollte Kurat Hans Schweiger brechen. Die Schubert-Messe, die nun wirklich oft geblasen und gepaukt wird, wollte er ersetzen, andere Lieder singen. War nicht durchzusetzen. Corona-Einschnitt hin oder her.