„An der Realität vorbei“

von Redaktion

Ehemaliger Mönch Anselm Bilgri rechnet mit der Kirche ab

Anselm Bilgri, der frühere Benediktinermönch und Prior des Kloster Andechs, hat die römisch-katholische Kirche hinter sich gelassen. Er hat seinen Mann geheiratet, ist bei den Altkatholiken eingetreten – und arbeitet dort inzwischen sogar wieder als Priester. Im Interview spricht er über seine Erleichterung darüber, seinen Blick auf Rom und einen Brief vom Papst – auf Latein.

Letztes Jahr haben Sie Ihren Mann geheiratet – und jetzt sind sie einer von drei ehrenamtlichen Priestern in einer altkatholischen Kirchengemeinde – bei den Römisch-Katholischen undenkbar…

Ja. Ich wollte in einer Kirche sein, in der ich mit meinem Mann verheiratet sein kann. Meine Priesterweihe gilt auch bei den Altkatholiken, und der Pfarrer unserer Gemeinde war total aufgeschlossen. Normalerweise sind die Pfarrer ja sehr eifersüchtig. Aber hier: ganz im Gegenteil. Bei den Römisch-Katholischen ist man vordergründig freundlich zueinander und hintenrum werden die Messer gewetzt. Der Neid der Kleriker.

Warum ist das aus Ihrer Sicht hier anders? Haben Sie Glück gehabt mit der Gemeinde oder liegt das an den Altkatholiken?

Das hat schon was mit den Altkatholiken zu tun und der grundsätzlichen, demokratischen Struktur. Das oberste Gremium dieser Kirche in Deutschland ist die Synode –und in der müssen per Gesetz mehr Laien vertreten sein als Geistliche. Sie wird also von den Laien, den Gläubigen, getragen, und die Geistlichen sind in diesem System wirklich Diener. Das zieht natürlich einen anderen Typ Mensch für diesen Job an.

Ist das Fehlen von hierarchischen Strukturen ungewohnt für Sie nach so vielen Jahren in der römisch-katholischen Kirche?

Ja, aber auch eine Erleichterung. Ich war höflich und habe Kardinal Marx einen Brief geschrieben, meinem früheren Abt und dem jetzt so umstrittenen Prälat Wolf, in dem ich meinen Übertritt zu den Altkatholiken mitgeteilt habe. Eine Antwort vom Kardinal kam nicht, aber ein Schreiben vom Papst aus Rom, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich aus dem Klerikerstand entlassen bin – auf Latein! Diese Amtsträger sind in solch einer Blase und folgen nur ihren eigenen Regeln, die nehmen gar nichts anderes mehr wahr. Das geht alles völlig an der Realität der Gesellschaft vorbei.

Macht es Ihnen Hoffnung, dass sich manche Bischöfe inzwischen im Rahmen des Synodalen Weges einigermaßen liberal äußern?

Natürlich begrüße ich, dass sich dort etwas tut – ob aus Überzeugung oder weil es gerade opportun ist, kann ich nicht sagen. Aber sicher ist, dass nach dem Abschluss des Synodalen Weges das große Nein aus Rom kommt. Es gab doch schon drei solche Gesprächsforen und die Synode von Würzburg 1975. Da wurden all diese Themen schon einmal besprochen – und geändert hat sich nichts.

Könnte sich mit einem neuen Papst etwas ändern?

Das glaube ich nicht. Das Problem an Franziskus ist, dass er mit seiner herzlichen, freundlichen und offenen Art Hoffnungen schürt, die er aber nicht einlöst. Das ist dieses sympathische südamerikanische Temperament. Aber für uns Deutsche ist das ein Problem, weil wir klare Regeln brauchen, die festgeschrieben sind: Etwas einfach tun, auch wenn es verboten ist, das kommt für den gesetzestreuen Deutschen nicht infrage und darum wird in Deutschland die Diskrepanz zwischen der demokratischen Staatsstruktur und der hierarchischen Kirchenstruktur als besonders quälend empfunden. In anderen Ländern ist das gar nicht so ein Thema.

Interview: Britta Schultejans

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