Mit Musikern und Kamera über die Alpen

von Redaktion

INTERVIEW Regisseur Walter Steffen über seine Kino-Dokumentation „Auf Tour z’ Fuaß“

Walter Steffen hat – außer Australien – schon jeden Kontinent gesehen. Er war unter anderem Hüttenwirt, Hafenarbeiter und Trucker. Sein lebenslanger Antrieb: Neugier auf die Menschen. Schon fast klar, dass der Oberstdorfer irgendwann beim Film landete. Seit 1985 dreht er, seit 2007 fast nur noch Dokumentarfilme. Wie jetzt über zwei Musiker, die mit Instrumenten durch die Alpen liefen.

Herr Steffen, wie kommt man auf die Idee, zwei Musiker beim Wandern von des einen Geburtsort zu dem des anderen durch die Alpen zu begleiten?

Da weise ich alle Schuld vonmir (grinst). Die Idee hatten Matthias Schriefl und Johannes Bär von alleine, und das vor Jahren. Eine „Schnapsidee“, sagten sie mir. Aber weil sie immer gut unterwegs und ausgebucht sind, mussten erst Corona und Lockdown kommen, bis sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnten. Also nahmen sie ihre Instrumente mit und wanderten von Vorarlberg bis in die Allgäuer Alpen, fünf Tage lang. Da war Musik drin.

Und wie kamen die beiden auf Sie?

Ich hatte mal die Unterbiberger Hofmusik porträtiert, bei der Johannes oft als Gastmusiker dabei war. So lernten wir uns kennen. Er fragte mich, ob ich einen kleinen Kurzfilm zu ihrer Alpentour machen wolle. Und ich entgegnete: Kurzfilm? Nein! Das ist so cool, wir machen gleich einen ganzen Film daraus.

Apropos Film: Schließt sich für den Globetrotter mit dieser Hüttentour eine Art Kreis – schließlich waren Sie selbst mal Hüttenwirt?

Stimmt schon: Ich habe die Welt von allen Seiten gesehen, aber ich glaube nicht an Lebenskreise. An den Kreislauf der Natur natürlich schon, darüber habe ich auch schon Filme gedreht. Aber das Leben sehe ich eher linear, als eine Wellenbewegung mit Aufs und Abs, die in der Unendlichkeit verläuft. Jeder hat einen Mikrometer auf dieser Linie, so ungefähr.

Sind die Berge ein Stück Heimat für Sie?

Ja, auch wenn ich selbst nicht mehr raufmuss. Ich habe als junger Mann mein Fahrgestell arg ramponiert… Aber sie anzuschauen aus der Ferne, das ist schon schön. Sie haben etwas Erhabenes. Dazu kommt die mythische Vorstellung: Die alten Griechen siedelten die Götter auf der höchsten Erhebung an, dem Olymp, dasselbe gilt im Himalaya. Wenn ich mich wie neulich vom Norden aus auf der Autobahn München nähere und das Alpenpanorama vor mir auftaucht, dann bin ich glücklich.

Bei mir löst der Blick aufs Meer dieses Gefühl aus. Berge beklemmen mich…

Das verstehe ich total gut, und mir ging es als Kind ganz ähnlich. Ich bin ja in Oberstdorf aufgewachsen und fühlte mich durch die Berge ringsrum eingekesselt. Du hast weniger Sonne und kürzere Tage. Aber jetzt, ich wohne am Starnberger See, genieße ich die Umgebung. Die Berge bieten schließlich mehr Fernblick als eine ungebrochene Aussicht aufs Meer.

Ist das so?

Wenn Sie auf einem Gipfel stehen, können Sie weiter blicken als 15 Kilometer. Mehr gibt auf dem Meer die Erdkrümmung nicht her. Und wenn Sie auf die Berge schauen, haben Sie bei gutem Wetter ein Vielfaches an Kilometern. Ich liebe das.

Mit Verlaub, Sie sind aus dem Allgäu, aber sprechen richtig Hochdeutsch…

Ich kann auch anders. Aber mein Vater hat uns beiden Buben verboten, Dialekt zu sprechen. Ich kann mich noch gut an die Szene am Tisch erinnern. Er hatte uns als 1908 geborener Berliner, den es in den Süden verschlagen hat, einfach nicht mehr verstanden. Und das taugte ihm nicht.

Hatte Ihr Vater auch Vorzüge?

Das Reise-Gen hat er mir ver-erbt, keine Frage. Er war in den 1920er-Jahren Reiseleiter und führte Touristen an Ecken der Welt, die damals noch nicht jeder kannte. Wir waren schon als Kinder viel unterwegs, und ich fand es immer spannend, wie sich mein fremdsprachenloser Vater überall verständigen konnte. Und noch viel mehr.

Nämlich?

Er hatte Charisma, er war neugierig und interessiert. Er konnte Menschen für sich einnehmen, ohne sich selbst zu verbiegen. Er blieb immer er selbst.

Ist es auch beim Filmen wichtig, sich zu zeigen?

Weiß ich gar nicht. Was beim Dokumentarfilmen auf jeden Fall rüberkommen soll, ist das Interesse und die Neugierde an den Menschen, die ich porträtiere. Das ist eine große Bereicherung für mich, egal, ob die Kamera läuft oder nicht. Der Mensch mag viele Nachteile haben, aber einer seiner größten Vorteile ist, dass er Geschichten von sich erzählt und andere Geschichten anhört.

Ihre filmischen Geschichten vertreiben Sie immer selbst. Warum?

Das war ursprünglich aus der Not geboren, weil ich keine Verleiher finden konnte. Nach zwei, drei Filmen wuss-te ich, wie es geht, und meine Frau unterstützt mich zum Glück. Wenn ich die Zuschauerzahlen meiner Dokus mit denen von Kollegen mit Verleih vergleiche, stelle ich fest: Meine Zahlen sind meistens besser. Dann mache ich es halt gleich selbst. Dadurch bleibe ich mein eigener Herr und verliere mein Hauptanliegen nie aus den Augen.

Das da wäre?

Die Menschen unterhalten, egal, wie leicht oder schwer das Thema ist. Ich mache grundsätzlich Filme fürs Publikum. Und wenn man sich die beiden Hauptdarsteller in „Auf Tour“ anschaut, was sie sagen, wie sie aufspielen, dann ist das einfach schön.

Wie lief der Dreh ab?

Ich war drei Tage mit dabei, siehe mein Fahrgestell. Aber mein Co-Regisseur Michael Baumberger, mit dem ich ständig in Kontakt war, hat das toll hingekriegt. Wir hatten ein genaues Konzept, bevor es losging, und so musste das Team mit viel Gewicht und deutlich mehr Kilometern als die Protagonisten durch die Berge schnaufen. Mit bis zu 30 Kilo auf dem Buckel an Ausrüstung und mehr Wegstrecke, weil sie ja mal von vorne, mal von hinten, mal von der Seite drehten.

Und die Film-Interviews?

Habe ich danach in der Münchner Jazzkneipe Unterfahrt gedreht, wo wir ein paar Tage die Bühne bekommen haben. Der Film entstand im Sommer 2020 mitten im Lockdown. Wenn er am 9. Juni anläuft – Premiere ist am 8. im Münchner Rio –, sind wir immer noch nicht über dem Berg, im Gegenteil: Corona ist nicht passé, wir sind im Ukraine-Krieg, die große Wirtschaftskrise liegt vor uns, dazu das Klima. Umso wichtiger ist dieser Film: Wir sehen zwei wirklich coole, einmalige Typen. Da ist viel Freiheit drin.

Ab wie viel Zuschauern zahlen Sie nicht drauf?

Wenn 50 000 Zuschauer kommen, wäre das prima.

Interview: Matthias Bieber

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