GASTBEITRAG

Der Marshall-Plan – ein Wendepunkt

von Redaktion

„Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder eine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos.“

George C. Marshall

Es gab in der Geschichte nur wenige Ereignisse, die das Schicksal ganzer Kontinente in eine positive Richtung lenkten. Nur wenige Visionäre konnten gängige Denkmuster überwinden und die Grundlagen moderner Zivilisation revolutionieren. Vor 75 Jahren entstand durch die Rede eines amerikanischen Staatsmannes eine solche Zeitenwende. Am 5. Juni 1947 legte der damalige US-Außenminister George C. Marshall den Grundstein für den Erfolg, der das Schicksal der europäischen Staaten nach einem verheerenden Zweiten Weltkrieg veränderte. Am 5. Juni begehen wir den 75. Jahrestag der Einführung des Marshall-Plans.

Dieser Jahrestag bedeutet auch den Übergang von Erinnerung zur Geschichte. Bald wird es nämlich niemanden mehr geben, der sich als Zeitzeuge an den Plan erinnert. Der Marshall-Plan wird dann nur noch aus Geschichtsbüchern bekannt sein. Dieser Jahrestag ist deshalb ein geeigneter Zeitpunkt, um sich die historischen Ereignisse und Auswirkungen in Erinnerung zu rufen, diese zu bewerten und daraus zu lernen.

Marshalls Vision brachte die Menschheit dem Weltfrieden einen Schritt näher. Er wollte das Vertrauen der europäischen Bevölkerung in die Demokratie und in die wirtschaftliche Zukunft ihrer Länder und Europas insgesamt wiederherstellen und den Teufelskreis historischer Ereignisse durchbrechen. Seine Überzeugung, dass „die Vereinigten Staaten alles tun sollten, was in ihrer Macht steht, um zur Rückkehr zu normalen gesunden wirtschaftlichen Verhältnissen in der Welt beizutragen, ohne die es keine politische Stabilität und keinen gesicherten Frieden geben kann“, zeigte, dass die Vereinigten Staaten und Europa aus der Geschichte des Ersten Weltkriegs gelernt hatten. Der Plan war für die USA eine Möglichkeit, schwierige Entscheidungen zum Wohle der Welt zu treffen und gleichzeitig einen ehemaligen Gegner zu unterstützen, um dauerhaft Frieden und Wohlstand in Europa zu schaffen und Deutschland zu der starken Demokratie zu machen, die das Land heute ist.

Der Marshall-Plan, offiziell als European Recovery Program bekannt, war ein vierjähriges, 13 Milliarden Dollar schweres Projekt zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Das entspricht heute mehr als 160 Milliarden Dollar. Das Hilfsangebot richtete sich auch an die Sowjetunion und die Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, wurde jedoch abgelehnt. Der Marshall-Plan war mehr als ein Hilfsprogramm – er wurde zur Vision für eine bessere Zukunft für alle, ungeachtet der Vergangenheit. Der Plan modernisierte die westeuropäischen Volkswirtschaften, brachte sie auf den Weg des Erfolgs und der Integration, erneuerte das Vertrauen Westeuropas in Demokratie und Kapitalismus und schuf die Voraussetzungen für den Aufbau eines starken Wirtschaftsverbands und schließlich eines Militärbündnisses. Der Marshall-Plan allein war nicht für den Wiederaufbau Europas verantwortlich, aber er schuf die Grundlage für das Wirtschaftswunder und das Europa von heute.

Der Plan führte zur Gründung zahlreicher wirkungsvoller Institutionen, darunter die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), deren 38 Mitgliedsstaaten sich verpflichtet haben, Wohlstand, Wohlergehen, Gleichheit und Chancen für alle zu fördern. Der Marshall-Plan war auch der Wendepunkt / die Zeitenwende für die lebendige Partnerschaft, die heute zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland besteht. Der Marshall-Plan legte den Grundstein für ein engagiertes transatlantisches Bündnis, das auch alle anderen westeuropäischen Staaten miteinbezieht, die für Demokratie und Freiheit eintreten.

Angesichts des neuen Konflikts in Europa, der durch den brutalen und grundlosen Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöst wurde, ist ein starkes und unerschütterliches transatlantisches Bündnis wichtiger denn je. Während der russische Präsident Wladimir Putin den Frieden und die internationale Ordnung zerstört, muss das transatlantische Bündnis standhaft gegen Tyrannei bleiben.

Wie Bundespräsident Steinmeier sagte: „Unsere Gemeinschaft ist die Gemeinschaft liberaler Demokratien, die die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stellt“. Oder in den Worten von Präsident Biden ausgedrückt: „Das ist ein Kampf zwischen dem Nutzen von Demokratien im 21. Jahrhundert und Autokratien“. Wir, die wir so viele wichtige Werte teilen – Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand und Chancengleichheit – müssen zusammenstehen. Die Vereinigten Staaten haben keinen besseren Partner in der Welt als Deutschland.

Das George C. Marshall European Center for Security Studies wird vom US-amerikanischen und dem deutschen Verteidigungsministerium getragen. In Lehrgängen werden Militärangehörige und zivile Regierungsvertreter ausgebildet. Es residiert seit 1992 in Garmisch-Partenkirchen in einer ehemaligen Kaserne, der sogenannten Jäger-Kaserne.

VON ERIC NELSON Beigeordneter Direktor des George C. Marshall European Center                       for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen

Foto: Thomas Sehr

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