Seehausen – „Bedeckt, aber trocken, volle Prozession, Ende 11.15 Uhr, total schön und ruhig.“ So war’s am 20. Juni 2019 bei der Fronleichnamsprozession auf dem Staffelsee. Monika Daisenberger (58) hat es aufgeschrieben auf einem kleinen Zettel, der in der Tasche ihres Dirndls steckt. Seit 1997 hat sie Jahr für Jahr notiert, wie die Prozession verlaufen ist.
Dass 2020 und 2021 auf dem Papier nicht auftauchen, liegt an der Pandemie. Fronleichnam, das in Seehausen im Kreis Garmisch-Partenkirchen ein echter Festtag ist, konnte nur in abgespeckter Form begangen werden. Keine mit Girlanden geschmückte Fähre auf dem See, auf der der Pfarrer mit dem Allerheiligsten – der Hostie in der Monstranz – zur Insel Wörth gefahren wird. Keine Blasmusik auf dem Begleitboot. Keine 50 bunten Boote, in denen die Gläubigen zu Wasser folgen.
Ganz nah am Geschehen ist Monika Daisenberger. Sie singt seit 42 Jahren im Kirchenchor, der auf die Fähre darf, und schwärmt von der einzigartigen Stimmung auf dem Wasser. „Wenn man mit der Fähre auf den See naus rudert, kimmt einem so ins Bewusstsein: Mensch, hams mir schee! Mir lebn in einer so traumhaften Landschaft. Da denk i immer: Boah, Hammer!“ Natürlich begeistert sie auch das kirchliche Geschehen. Liturgie, Gesänge, Landschaft – alles gehört zusammen bei der Seeprozession.
Fronleichnam nicht daheim zu sein, kommt für Angelika Guglhör nicht in Frage. Nur einmal hat die 66-Jährige eine Prozession verpasst: Da war die Klarinettenspielerin mit der Blaskapelle in Schweden. Und da gab es auch keine Blasmusik auf dem Staffelsee – das muss recht fad gewesen sein.
Die pensionierte Lehrerin saß 48 Jahre im Pfarrgemeinderat, davon die letzten 16 als Vorsitzende. In diesem Jahr hilft sie noch mal mit bei den Vorbereitungen, obgleich es einen neuen Pfarrgemeinderat gibt. Denn es gibt viel zu organisieren. „Jeder aus dem Pfarrgemeinderat hat eine Aufgabe. Der eine kümmert sich um die Himmelträger. Andere organisieren das Girlanden-Binden.“ Nach zwei Jahren Pause ist alles ein wenig holprig, räumt die 66-Jährige ein. Manche, die bisher treu dabei waren, etwa als Zugordner, fallen aus Altersgründen aus. Eine wichtige Aufgabe, weil die Prozession viele Besucher anzieht. Menschen, die sich am Ufer versammeln und mitunter daran erinnert werden müssen, dass die Fronleichnam kein „Event“ ist, sondern ein hoher kirchlicher Feiertag. Auf dem Wasser sorgen Ordner in Elektrobooten dafür, dass nicht gerade ein Stand-up-Paddler mit nacktem Oberkörper den Prozessionsweg kreuzt.
Guglhör beobachtet, dass sich etwas verändert hat im Lauf der Zeit: „Es kommen nicht mehr Tausende, sondern nur noch Hunderte.“ Was sie auch auf die fortschreitende Entkirchlichung zurückführt. „Kirche spielt halt nicht mehr so die Rolle. So, wie sich die Kirche manchmal auch gezeigt hat, zurecht.“ Aber: „Man muss auch nicht immer nur das Negative in der Kirche sehen. Kann man nicht einfach glauben? Unsere Fronleichnamsprozession ist eine Glaubensdemonstration.“ Wenn das mehrstimmige „Amen“ des Chors über den See schwebt, wie sie es schon aus Kindertagen kennt, berührt sie das. Ebenso wie der Weg hinauf zur Inselkapelle: „An einem schönen Tag in dieser paradiesischen Landschaft in Ruhe feiern dürfen, ohne Tamtam, ohne Grillfeste außenrum, ist das wunderschön.“
Bevor es am Feiertag auf den See geht, ist noch einiges zu tun. Die Feuerwehr hat gestern im Rahmen einer Übung die Fähre geputzt, die Frauen haben die Girlanden gebunden. Heute Abend probt der Kirchenchor noch einmal mit der Blasmusik.
Wenn am Donnerstagmorgen das Wetter mitspielt, kann die Prozession nach dem Festgottesdienst in St. Michael starten. Allerdings sind die Aussichten nicht die besten. Der Wetterbericht kündigt für den Vormittag Gewitter und Schauer an. Angelika Guglhör nimmt es gelassen: „Die Sicherheit geht vor. Man muss ja rudern können. Wenn die Boote so nah beinander sind, ist es gefährlich.“ Noch hoffen die Seehausener, dass der Pfarrer kurz vor 9 Uhr mit der Monstranz durch den Ort ziehen kann, begleitet vom Chor, den Ministranten, den Kommunionkindern und den vielen Gläubigen im Festtagsgewand. Sie gehen über mit frisch geschnittenem Gras ausgelegte und Blumenteppichen geschmückte Wege zum See. An vier Stationen – eine auf der Insel Wörth, wo die Urzelle des kirchlichen Lebens am Staffelsee liegt und die ganze Gemeinschaft an Land geht – wird das Evangelium verkündet.
Nach einer Andacht in der Kirche lockt das Wirtshaus. Im Biergarten vom „Stern“ treffen sich die Sänger und Musikanten, die Pfarrgemeinderatsmitglieder und der Pfarrer. Sollte es regnen, geht’s ins Wirtshaus. Auf jeden Fall wird Monika Daisenberger ihren Zettel aus der Tasche ziehen und aufschreiben, wie Fronleichnam 2022 war.