„Regierung gibt die Startbahn nie auf“

von Redaktion

Selten ist Hartmut Binner, 83, so viel daheim wie im Moment – Corona hat ihn erwischt und der umtriebige Startbahn-Gegner muss auf seine zahlreichen Kontakte verzichten. Die hat er immer noch, auch zehn Jahre nach dem Bürgerentscheid gegen die dritte Startbahn. Am 17. Juni 2012 verhinderte eine Abstimmung der Münchner das Milliardenprojekt, eine Kampagne von Binner, damals Sprecher des Aktionsbündnisses Aufgemuckt, mit den Grünen und Umweltschützern ging erfolgreich zu Ende.

Studieren Sie immer noch die Flug-Statistiken?

Klar. Die Zahlen zeigen, dass die Flugbewegungen schon vor Corona zurückgegangen sind. Ende 2019 gibt es eine deutliche Delle.

Befürchten Sie, dass die dritte Startbahn trotzdem irgendwann gebaut wird?

Im Moment würde die dritte Startbahn als Bauruine vor sich hindümpeln. Aber ich fürchte, dass die Staatsregierung die dritte Startbahn nie aufgibt, deshalb nimmt sie sie auch nicht aus dem Landesentwicklungsprogramm. Unser Freisinger Oberbürgermeister hat vor drei Jahren gesagt, eine dritte Startbahn würde heute niemand mehr beantragen. Benno Zierer (Landtagsabgeordneter der Freien Wähler, Anm. d. Red.), sagt, das Projekt sei klinisch tot. Ich habe das Gefühl, dass viele Verantwortliche einschlafen. Deswegen habe ich mich in den Stadtrat wählen lassen – um Mahner zu bleiben.

Warum gehen die Flugbewegungen denn zurück?

Sicher durch Corona, aber es wird geschäftlich einfach nicht mehr so viel geflogen. Da setzt man sich lieber vor den Computer und macht Videokonferenz. Und im öffentlichen Nahverkehr hat sich schon vieles getan. Ich war oft in Berlin, die Strecke schafft man mit dem Zug in vier Stunden. Innerhalb Deutschlands muss man nicht fliegen!

Vor zehn Jahren haben Sie gesagt, Sie würden gerne mit dem Flughafen in Frieden leben. Was wurde daraus?

Diesen Satz habe ich in den letzten Wochen wieder öfter gesagt. Vor vielen Jahren hat der Flughafen mal den Slogan „Air-folgsregion“ ausgerufen, damit sollte die Akzeptanz im Umland gestärkt werden. Ich habe damals als Bürger dagegen gekämpft. Ich kann mich doch nicht mit jemandem ins Bett legen, der ein Messer in der Hand hat. Aber ich hätte wirklich gerne meinen Frieden mit dem Flughafen, was die dritte Startbahn angeht.

Erfahren Sie denn aus der Bevölkerung noch Unterstützung für Ihren Kampf?

Auf jeden Fall. Mich reden oft Leute an und sagen, wir dürfen nicht einschlafen. In der Tat: Wir müssen hellwach bleiben. Jetzt soll die geplante Eventarena mehr Flugverkehr anziehen – und der wiederum soll die dritte Startbahn rechtfertigen.

Bis 2023 gilt noch das Moratorium der Staatsregierung, so lange liegt die Startbahn auf Eis. Was passiert danach?

Ich weiß es nicht. Wie soll bei den aktuellen Zahlen neuer Schwung reinkommen? Aber die Politik hat mich schon oft enttäuscht. Söder zum Beispiel, wie er damals gesagt hat, in seiner Regierungszeit wird es keine Dritte geben. Aber eigentlich wollte er da schon nach Berlin. Oder Seehofer – wie der mit uns umgesprungen ist! In Attaching hat er gesagt, im Moment brauchen wir wirklich keine dritte Startbahn. Und schon flüchtete er nach Berlin.

Fast hätte das Bundesverfassungsgericht das Projekt gekippt – dann fehlte ein Dokument und die Klage des Bund Naturschutz wurde 2021 abgewiesen. Waren Sie wütend?

Oh ja. Was da abgelaufen ist… Aber: Ich bin sehr dankbar, in einer Demokratie leben zu dürfen, in der ich einerseits ein Leben lang als loyaler Staatsdiener dienen durfte und gegen die ich andererseits nach meiner Pensionierung mit allen rechtlichen Mitteln gegen eine dritte Bahn vorgehen konnte und werde, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

Seit dem Entscheid ist viel passiert, Stichwort Fridays for Future. Spüren Sie das?

Schon als ich Aufgemuckt-Sprecher war, waren viele katholische und evangelische Jugendbewegungen bei uns aktiv – mit einem Schlag nahmen wir damals 50 000 Mitglieder auf. Heute werden die Gegenbewegungen noch mehr von jungen Menschen getragen, davon bin ich begeistert.

Dann gibt es ja genügend Nachwuchs, falls Sie einmal keine Lust mehr auf Widerstand haben…

Ich werde bis ins Grab kämpfen, zum zehnten Jahrestag am Freitag demonstriere ich um 11 Uhr mit meinem Transparent vor der Staatskanzlei. Aber daheim habe ich schon viel versaubeutelt. Meine Frau stand immer hinter mir, sie ist Seite an Seite mit mir auf Demos marschiert. Als ich nach zehn Jahren als Aufgemuckt-Sprecher aufgehört habe, saßen wir auf der Terrasse und sie meinte: „In den letzten zehn Jahre waren wir nicht so viel zusammen wie in den letzten zwei Wochen.“ Das versuche ich jetzt wiedergutzumachen. Ich gehe zum Beispiel mehr ins Theater.

Und fliegen vielleicht in den Urlaub?

Natürlich nicht! Ganz am Anfang unseres Widerstandes wünschte sich meine Frau einmal die Teilnahme an einer ausgeschriebenen Weltreise mit meinen Kollegen des Landeskriminalamtes. Damals habe ich meinen Freund und Mitstreiter Magerl gefragt, was ich tun soll. Der meinte: Du hast den Flughafen jeden Tag vor deiner Haustür, warum sollst du nicht einmal fliegen? Und das habe ich dann auch gemacht.

Interview: Carina Zimniok

Artikel 10 von 11