München – Das bayerische Kultusministerium rechnet nun langfristig mit dem Schulbesuch ukrainischer Kinder. Zwar gebe es Schüler, die so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat wollten, sagte Kultusminister Michael Piazolo. Allerdings werde die Mehrheit wohl länger in Bayern bleiben. Dafür sollen ab dem nächsten Schuljahr sogenannte Brückenklassen an allen Schularten eingerichtet werden.
Eine Kalkulation ist wegen der unabsehbaren Kriegslage schwierig, doch das Kultusministerium rechnet mit steigenden Schülerzahlen. Derzeit sind laut Piazolo etwa 25 000 Schüler aus der Ukraine an den bayerischen Schulen. Die Zahl werde auf vielleicht 35 000 Schüler bis September 2022 wachsen – von der Zahl her ungefähr ein Abiturjahrgang. Bisher werden sie zu einem kleineren Teil in Förder- und Regelklassen, zum größeren Teil jedoch vor allem in sogenannten Willkommensklassen unterrichtet – dort aber nur einige Stunden in der Woche.
Das soll sich ab September ändern: Ukrainer im Grundschulalter sollen dann direkt in Regelklassen. Piazolo rechnet damit, dass sie dort einem „Sprachbad“ ausgesetzt werden und sehr schnell Deutsch lernen. Wo das nicht funktioniert, sollen „Deutsch plus“-Kurse helfen. Ab der 5. Klasse sollen die ukrainischen Schüler auf die verschiedenen Schularten verteilt werden und Brückenklassen besuchen. Sie ersetzen die Willkommensgruppen. Ein Stundenkonzept wurde von einer Arbeitsgruppe im Ministerium erarbeitet: Demnach sollen die Schüler zehn Stunden in Deutsch als Zweitsprache unterrichtet werden, des Weiteren insgesamt neun Stunden in Mathe und Englisch. Vier Stunden sind frei wählbar: Kunst, Sport oder anderes. Ein ukrainischer Schüler hat so ab dem Schuljahr 2022/23 insgesamt 23 Schulstunden Unterricht. Wer noch mehr will, kann bis zu sieben Stunden Wahlfächer belegen.
„Das ist die Theorie. In der Praxis spüren wir, dass wir weit über unsere Grenzen gehen müssen“, sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann. Sie bezweifelt, dass es genügend Fachpersonal für die Schüler geben wird. Piazolo hat 1620 Stellen vorgesehen, die aber erst einmal besetzt werden müssen. Wieder einmal rief der Minister pensionierte Lehrer auf, sich für das Unterrichten ukrainischer Schüler zu melden, notfalls auch nur einige Stunden in der Woche. Der Philologenverband forderte, jeder Schule zumindest einen ukrainisch- oder russisch-sprachigen Lehrer zur Seite zu stellen. BLLV-Chefin Fleischmann warnt: Sollten statt 35 000 am Ende 45 000 Schüler kommen, wären 800 weitere Stellen notwendig – für 75 Millionen Euro im Jahr. Ob Piazolo das Geld lockermachen könne, sei ungewiss.
Die Brückenklassen, sagte Piazolo auf Nachfrage, sind nur für ukrainische Schüler bestimmt – nicht aber für andere Migrantenkinder. Begründet wird das mit dem Ziel einer „homogenen“ Klassenzusammensetzung, doch dürfte es auch am fehlenden Personal scheitern. Lehrer befürchten, dass die unterschiedliche Behandlung von Schüler-Nationalitäten zur Spaltung in den Schulen führen könnte. DIRK WALTER