Remmidemmi in der Ruhe-Oase

von Redaktion

VON CHRISTOF SCHNÜRER

Kranzbach – In normalen Zeiten hat „Das Kranzbach“ eine Auslastung von 80 Prozent und mehr. Doch seit Sonntag sind die 135 Zimmer und 240 Betten leer – oder so gut wie. Denn seit dieser Woche haben sich andere Besucher, um die 40, in der Nobelherberge im Elmauer Tal einquartiert. Die Vorhut für den bevorstehenden G7-Gipfel im benachbarten Schloss Elmau (26. bis 28. Juni). Und dieses Treffen würde es nicht geben, hätte Kranzbach-Chef Jakob Edinger nicht Ja gesagt.

Seine Nobelherberge, in der ansonsten Ruhe und Rückzug großgeschrieben werden, dient wie schon 2015 als Zusatz-Domizil für Politgrößen aus aller Welt. Vor sieben Jahren etwa weilten in diesem idyllisch gelegenen Wellness-Resort neben Christine Lagarde, damals Direktorin des Internationalen Währungsfonds, und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zwölf Staats- und Regierungschefs, unter anderem Muhammadi Buhari aus Nigeria oder Beji Caid Essebsi aus Tunesien. Wer diesmal im Kranzbach logiert? „Wir wissen es nicht“, erzählt Edinger, der seine Nobelherberge an die Bundesregierung vermietet hat. Aktuell ist der 77-jährige Unternehmer und Tourismusberater also nicht mehr Herr im eigenen Haus –wie schon 2015. Edinger und seine 120-köpfige Belegschaft, die in der heißen Phase in zwei Schichten arbeitet, stellen sich darauf ein.

Wer derzeit den angrenzenden Ort Klais passiert und auf der Mautstraße Richtung Elmau fährt, sieht überall die Vorboten auf das Weltereignis G7 – ein kilometerlanger, beleuchteter Sicherheitszaun und Polizei an allen Ecken. Immer wieder kreisen Hubschrauber über den beiden Luxushotels. Den Lärm mag Edinger, der Mann der leisen Töne, überhaupt nicht. „Das geht schon eine ganze Weile so.“ Im November 2021 hatte er einen Anruf vom Auswärtigen Amt erhalten. In „sehr gesetzten diplomatischen Worten“, erinnert sich der Kranzbach-Chef, wurde ihm mitgeteilt, dass die neu gebildete Ampel-Koalition „aufgrund der Dringlichkeit“ den G7-Gipfel 2022 ein weiteres Mal in den Nobel-Resorts bei Mittenwald über die Bühne bringen möchte. „Wir brauchen Elmau und Kranzbach, wir haben keine Alternativen“, teilte man Edinger mit. Also willigte er nach kurzer Bedenkzeit ein und handelt nach 2015 ein zweites Mal gegen seine eigenen Prinzipien. „Kranzbach will leise sein“, lautet die Haus-Philosophie. „A Ruah geb’n, und a Ruah hab’n“, formuliert es der 77-Jährige. Er propagiert „die Philosophie der Stille, des Rückzugs und der Ungestörtheit“. Dieses Geschäftsmodell duldet kein Remmidemmi.

Wie ernst es ihm damit ist, mussten vor einiger Zeit PR-Strategen einer Auto-Nobelmarke spüren. Eine beauftragte Filmcrew sollte die Limousinen mit einigen Models vor malerischer Kranzbach-Kulisse ins rechte Licht rücken. Doch damit bissen sie bei Edinger auf Granit. „Wir sind dahingehend konsequent, auch im Verzicht auf Marketingchancen.“ Die einen schütteln darüber den Kopf, die anderen finden es klasse.

Vor knapp 20 Jahren hat der promovierte Touristiker, der einer Tiroler Land- und Gastwirt-Familie aus Söll am Wilden Kaiser entstammt, der evangelischen Kirche die 13 Hektar große Immobilie für einen Millionenbetrag abgekauft. Damals war das insolvente Kranzbach ein Sorgenschloss. Binnen weniger Jahre verwandelte Edinger den 1913 von Mary Isabel Portman, einer steinreichen, englischen Aristokratin, in Auftrag gegebenen Landsitz in eine Wellness-Oase der Extraklasse. Gäste können hier für zugegebenermaßen viel Geld inmitten von Wald und Blumenwiese der alltäglichen Tretmühle entfliehen. Es gibt sogar ein Meditationshaus mitten im Gehölz, erbaut nach den Plänen des japanischen Stararchitekten Kengo Kuma. Edinger wünscht seinen prominenten Polit-Gästen Inspiration: „Ich liefere diese Energie gerne.“

Der Hotelier mit dem schlohweißen Haar geht davon aus, dass auch die zweite Gipfel-Auflage problemlos über die Bühne gehen wird. Dafür wird auch ein Großaufgebot an Sicherheitskräften sorgen. 2015 wurde jeder Ein- und Ausgang seines Luxusanwesens penibel kontrolliert: „Man war damals ziemlich konsequent und kompromisslos, das muss ich mit Respekt festhalten.“

Ob sich der Kranzbach-Chef auch eine dritte G7-Auflage in seinen Nobelräumen vorstellen kann? Diese Frage beantwortet der Tiroler diplomatisch: „Ich hoffe, dass für diesen Gipfel ökologisch und ökonomisch bessere Varianten gefunden werden.“

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