München – Für das kinderlose Rentner-Ehepaar aus einem nördlichen Landkreis im Erzbistum München und Freising reichte die Rente bisher so gerade für Lebensmittel, Miete und Stromkosten. Die Rente liegt knapp über dem Anspruch auf Sozialleistungen – auf aufstockende Grundsicherung oder Wohngeld hat das kinderlose Paar keinen Anspruch. „Ich weiß jetzt schon nicht mehr, wie ich alles bezahlen soll. Ich habe schon jetzt Angst vor der Nachzahlung vom Strom und den Nebenkosten!“, zitierte Gabriele Stark-Angermeier, Vorständin des Caritasverbands der Ezdiözese München und Freising, die verzweifelte Rentnerin. Dieser Fall aus einer Caritas-Sozialberatung ist nicht einmalig – „das hören wir täglich in unserer Arbeit“, sagte die Caritas-Expertin gestern bei der Jahrespressekonferenz in München.
„Sowohl in München als auch in ländlich geprägten Gebieten hat sich die Anzahl der Kunden an unseren Lebensmitteltafeln in den letzten Wochen verdoppelt. Gleichzeitig geht die Anzahl der Warenspenden aus dem Einzelhandel zurück“, zeichnete Stark-Angermeier ein bedrohliches Szenario. „Es ist nicht die Aufgabe der Lebensmittelausgaben, die staatlichen Unterstützungsleistungen gering zu halten.“ Immer mehr Menschen – junge Familien, Rentner, Geringverdiener und ukrainische Kriegsflüchtlinge – hätten am 20. Tag des Monats nicht mehr genug Geld für die dringlichsten Lebensmittel. „Dies ist nicht nur eine existenzielle Bedrohung für die Schwächsten der Gesellschaft, sondern betrifft zunehmend die Mittelschicht, aus der immer mehr Menschen abzurutschen drohen.“ Von den Tafeln könne diese Notlage nicht aufgefangen werden. Die Caritas fordert daher die Politik auf, die monatlichen Regelsätze der sozialen Grundsicherung „endlich auf das Niveau der tatsächlichen Lebenshaltungskosten anzuheben“. Bei der Dachauer Tafel gibt es nach Informationen des Caritasverbands derzeit sogar eine Warteliste von 300 Personen, weil die Lebensmittelspenden der Supermärkte nicht mehr ausreichen, um noch mehr Menschen zu versorgen. Auf Nachfrage erklärte Stark-Angermeier, dass diese Menschen letztlich bei der Caritas-Beratungsstelle landeten. „Wir geben ihnen im Notfall Gutscheine zum Einkauf. Aber das ist nicht das, was sie notwendigerweise für die Grundversorgung brauchen.“ Am Ende des Monats gehe ihnen das Geld aus. Da versuche die Caritas punktuell zu lindern. Auch kommunale Stellen würden helfen – für die betroffenen Menschen bedeute dies aber ein Hin- und Hergelaufe, um überhaupt einen Zugang zur Hilfe zu bekommen.
Laut Diözesan-Caritasdirektor Hermann Sollfrank vergrößerten die rasant steigenden Preise die Kluft zwischen Arm und Reich: „Sie sind sozialer Sprengstoff, wenn wir nicht gegensteuern.“ Der Staat könne nicht jeden Nachteil oder Schicksalsschlag abfedern, aber es brauche unbedingt weitere Entlastungspakete für Geringverdiener und Rentner. Sie hätten kein Erspartes oder gar Vermögen, auf das sie im Notfall zurückgreifen könnten. Sollfrank plädiert daher für ein Moratorium für Wohnungsräumungen für Menschen, die ihre Nebenkosten nicht bezahlen könnten. Zudem könnten die Gaspreise gedeckelt und die Hartz-IV-Sätze deutlich erhöht werden.
Betroffen zeigte sich Sollfrank von der hohen Zahl an Kirchenaustritten. Das schmerze auch die Caritas „als sozialer Arm dieser Kirche“. Die Caritas pflege eine christliche Unternehmenskultur, die von Vertrauen und Offenheit geprägt sei. Er halte nichts von einem überzogenen Kontrollbedürfnis privater Lebensverhältnisse. Eine grundlegende Reform des kirchlichen Arbeitsrechts, wie sich gerade abzeichne, sei unumgänglich. Die Caritas brauche Mitarbeitende, die sich gerne für andere einbringen und die christlichen Werte sowie den Zielen der Caritas mittragen: „Wie sie privat ihr Lebens gestalten, ist nicht entscheidend.“ Was zählt sei die christliche Identität.
CLAUDIA MÖLLERS