Das Geheimnis der Wassergöttin

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Mit weißen Handschuhen nimmt Clemens Köhler, Restaurator beim Landesamt für Denkmalpflege, eine kleine Tonfigur aus der Vitrine und streckt sie den Fotografen entgegen. „So viel Aufmerksamkeit“, sagt er. „Da bin ich richtig eingeschüchtert.“

Was Köhler in der Hand hält, ist 19 Zentimeter groß, filigran aus Ton gearbeitet: eine Statuette, die noch viele Rätsel aufgibt. Sie wurde im März 2021 von Archäologen in Mönchstockheim im Kreis Schweinfurt gefunden. Dort soll eine Ortsumgehung gebaut werden, die Ausgrabung fand planmäßig vorher statt. Die Figur lag in einer Art Wasserloch, das wohl vor langer Zeit ausgetrocknet ist. „Wir nennen sie Wassergöttin“, sagt der Leiter des Denkmalamtes, Matthias Pfeil. „Der Erhaltungszustand ist hervorragend“, sagt Restaurator Köhler. „Die Figur ist unzerscherbt“ – gemeint ist: Sie ist in einem Stück erhalten. Nur die Beine fehlen sowie die Vorderfläche des Oberkörpers. Damit bleibt eigentlich auch offen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Direkt daneben wurden ein verkohltes Getreidekorn und ein Holzkohlestückchen gefunden – organisches Material, das nach der Radiocarbonmethode analysiert werden konnte. Daher nimmt die Wissenschaftlerin Stefanie Berg an, dass die Figur zwischen dem 8. und 6.  Jahrhundert vor Christus entstanden ist. Es ist jetzt ihr Job, die Figur zu durchleuchten. Erst dachte Berg an einen Ursprung aus der Schwarzmeerregion im heutigen Bulgarien, weil dort ähnlich gefertigte Figuren gefunden wurde, die wesentlich älter sind: fast 8000 Jahre alt. Doch die Radiocarbon-Datierung korrigierte diese Annahme – jetzt wird angenommen, dass die Wassergöttin aus der Hallstattzeit stammt. So wird die Ältere Eisenzeit zwischen 800 und 450 v.Chr. genannt.

Neben der Figur fanden die Archäologen auch Scherben, Töpferwerkzeuge aus Knochen und einen sehr ungewöhnlichen, nach innen gewölbten Tonstempel, mit dem früher vielleicht einmal Brot gestempelt wurde. Vielleicht – man weiß es nicht genau.

Was gleichfalls noch ungeklärt ist, sind die Eigentumsverhältnisse: Nach der derzeitigen bayerischen Regel gehört ein Fund zu 50 Prozent dem Grundeigentümer, zu 50 Prozent dem Finder. Der Finder ist das Landesamt, der Grund aber gehörte früher einem Privatmann. Die Klärung dauert an, Bayern will das Gesetz aber ändern, damit Grabungstourismus vorgebeugt wird. Für die „Wassergöttin“ kommt der Plan jedoch zu spät.

Wo die Figur ausgestellt wird, ist unklar. Vermutlich wird sie in der Region bleiben – die Franken wachen neuerdings eifersüchtig darauf, dass ihre Kulturgüter möglichst vor Ort bleiben und nicht etwa in München landen. Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) drückt sich um eine klare Aussage dazu. Nur so viel: „Die Museen werden sich darum reißen.“

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