Gibt „Super Mario“ auf?

von Redaktion

Italiens Ministerpräsident hat offenbar genug von den Ränkespielen – Staatspräsident Sergio Mattarella will ihn umstimmen

Rom – 17 Monate hat Mario Draghi die italienische Regierung geführt. International wurde Italien plötzlich wieder als verlässlicher, ja beinahe vorbildlicher Partner wahrgenommen. Reformen wurden angestoßen und realisiert. Auch viele Italiener waren stolz auf „Super Mario“, den früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Er hatte die Führung des Landes in einer dramatischen Lage Anfang 2021 übernommen, noch mitten in der Pandemie und in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Wer, wenn nicht Draghi, konnte zum Retter der Nation werden?

Deswegen wurde er vom Staatspräsidenten Sergio Mattarella im Februar 2021 mit der Regierungsbildung beauftragt. Eine Viel-Parteien-Regierung kam zustande, im chronisch zerstrittenen Italien war plötzlich die Rede von „nationaler Einheit“. Eine Art politischer Überflieger war notwendig, um das Land aus der Not zu retten. So lautete das allgemeine Narrativ. Umso traumatischer war am Donnerstag Mario Draghis Entscheidung, als Premierminister zurückzutreten.

Die Fünf-Sterne-Bewegung, stärkste Kraft der Koalition, hatte dem Ministerpräsidenten das Vertrauen verweigert. „Schock Draghi“, titelt La Repubblica am Freitag. Noch blieben „fünf Tage, um die Regierung zu retten“. Fünf Tage lang wird Italien nun im typischen politischen Fegefeuer zubringen. Denn Staatschef Mattarella hatte am Donnerstagabend den Rücktritt Draghis abgelehnt und ihn aufgefordert, am kommenden Mittwoch vor dem Parlament eine Erklärung zur Krise abzugeben.

Offenbar waren sich Noch-Premier und Staatspräsident überhaupt nicht einig, was den Verlauf der Krise angeht. Wie es heißt, will Draghi definitiv aufhören, er hat nach 17 Monaten die Nase voll von Italiens Politik. „Der Pakt des Vertrauens, die Grundlage des Regierens, ist gebrochen“, sagte er im Ministerrat. Das zielte auf die Regierungspartei Fünf-Sterne-Bewegung, die nicht für ein 23-Milliarden-Hilfsdekret gestimmt, sondern trotz der Vertrauensfrage den Saal verlassen hatte.

Draghi fürchtet, dass wenige Monate vor der Parlamentswahl im Frühjahr die Stabilität der Regierung ein für allemal dahin ist und nun politische Erpressungen, auch anderer Parteien wie etwa der Lega, alltäglich werden könnten. Deshalb, auch aus Selbstschutz, schmeißt er hin. Staatspräsident Mattarella hat hingegen die Republik vor Augen und hofft, dass es sich der 74-Jährige noch einmal überlegen wird.

Nominell verfügt Draghi noch über eine komfortable Mehrheit im Parlament und könnte weitermachen. Mattarella sieht die Notwendigkeit, dass Italien in der derzeitigen schwierigen Situation mit dem Krieg in der Ukraine, Gasbedarf und Inflation von einer international anerkannten Respektsperson geführt wird. Der Staatspräsident fürchtet nicht zuletzt die wirtschaftspolitischen Folgen und Reaktionen der Märkte, sollte Italien ohne Draghi ins alte Politik-Chaos abdriften.

Der Premier war immer auch eine Garantie für die Finanzmärkte. Der „Spread“ genannte Zinsaufschlag zwischen zehnjährigen Staatsanleihen aus Italien und Deutschland stieg am Donnerstag auf 222 Punkte, ein Indikator für die Nervosität der Märkte. Die Niedrigzinspolitik der EZB, die dem mit rund 150 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes hochverschuldeten Italien entgegenkam, ist wegen der Inflation passé. Reißt die drittgrößte EU-Volkswirtschaft die Eurozone nun in einen neuen Strudel?

Um all dies zu verhindern, läuft nun „das große Verhandeln“, wie Italiens Zeitungen schreiben. Das Ziel: Draghi zur Umkehr zu bewegen und alle an der Regierung beteiligten Parteien, von der Fünf-Sterne-Bewegung bis hin zur rechten Lega, zu einem neuen Treueschwur gegenüber dem Premier zu bewegen. Dennoch sind Neuwahlen im Herbst wahrscheinlich. JULIUS MÜLLER-MEININGEN

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