Es gibt Tage, an denen kann man am Fernsehprogramm verzagen. Aber „chacun à son goût“, jeder nach seinem Geschmack, gilt vor allem in der Unterhaltungsbranche. Das zeigt die Herkunft der Redeweise, die gesungen wird. Sie stammt aus der Operette „Die Fledermaus“. Darin schmettert Prinz Orlofsky in einem Couplet, wie er mit Gästen umgeht – wer sich langweilt, wird rausgeschmissen, wer nicht zechen will, bekommt die Flasche an den Kopf: „S’ ist bei mir so Sitte, chacun à son goût!“
Seit geraumer Zeit gibt es gegen Langeweile Trost auf höchstem Niveau. Das ZDF hat sein Archiv geöffnet und sieben Jahre lang alte Bänder digital gesichert. Das sind laut „heute Journal“ 300 000 Stunden Fernsehen, die jetzt nach und nach in die Mediathek kommen. „Zur Person“ ist für uns zu Hause das momentane Zauberwort. Eine unschlagbare Interviewreihe mit Günter Gaus. 32 grandiose Gespräche zwischen 1963 und 1966 kann man sich mit Gewinn zu Gemüte führen. Gaus war ein brillanter Journalist und Diplomat. Er hat selbst entschieden, wen er interviewt. Wie er das tut, erzeugt mehr Spannung als ein Thriller. Die Fragen treffen ins Zentrum. Gaus hakt nach und bleibt unbeirrt bei seinen Themen. Zugleich agiert er höflich und freundlich – niemals ist er beleidigend oder impertinent. Seine Gäste erlebt man auf eine Weise, wie sie näher und dennoch dezenter nicht sein könnte. Wissenschaftler, Politiker und Künstler erzählen persönlich, ohne privat werden zu müssen. Beglückt lehnt man sich zurück und wünschte, Günter Gaus würde niemals aufhören zu fragen. Man lernt, ohne belehrt zu werden.
Das öffentliche-rechtliche Fernsehen betreibt hier vorbildlich Bildung. Dafür Gebühren zu zahlen, kommt einer Vergnügungssteuer nahe, wiewohl es um tiefernste Fragen geht. Die Philosophin Hannah Arendt beispielsweise, die – leider – einzige Frau in den bislang vorhandenen 32 Sendungen, beschreibt, wie sich 1933 die deutsche Intelligenz etwas „zu Hitler einfallen ließ“: „Interessante, fantastische, komplizierte, hoch über dem gewöhnlichen Niveau schwebende Dinge“ – um an den Diktator „glauben zu können“. Damit versteht man auch jüngste Gegenwart. Vom Historiker Golo Mann, dem Sohn Thomas Manns, erfährt man vieles über Familie und die Beziehungen untereinander, ohne zum Voyeur zu werden. Dieser Beitrag ist ein besonders sensibles und anrührendes Porträt. Franz-Josef Strauß, Helmut Schmidt, Willy Brandt, Gustaf Gründgens, Martin Niemöller, Günter Grass, Gewerkschafter, Banker, Landwirte – die Kameraeinstellungen stehen lange und sehr nahe, wichtig ist nur der Gast, der auch das Studio einqualmen darf.
Günter Gaus ist leider seit 2004 tot. Dank sei denen, die den Wert eines Archivs zu schätzen wissen – und damit auch den Wert wahrhaft geistreicher Gespräche.