Wertach – Auf der Webseite ist die Mühle schon wiederaufgebaut, wenn auch nur als Architekturmodell. Ein schneeweißes Terrain mit Bäumchen und verschiedenen Gebäuden. Am Morgen des 22. März 2021 sah es auf dem Gelände westlich von Nesselwang im Oberallgäu ganz anders aus: Das 600 Jahre alte Gebäude war in Brand geraten, weil sich ein Lappen mit Leinölfirnis selbst entzündet hatte. Als der Alarm um 6 Uhr morgens losging, rückten 80 Einsatzkräfte der Feuerwehren an. Natascha Glasow packte ihre Katzen, führte die Pferde auf die Nachbarweide, half selbst beim Löschen: „Es war ein Schock“, sagt die 57-Jährige.
Verletzt wurde damals glücklicherweise niemand. Doch das Haus war für die Sommermonate vollkommen ausgebucht gewesen, Aktionen waren geplant, Seminare, Treffen, Kinderurlaub. Glasow stand vor den Trümmern ihrer Existenz. Ihre 82-jährige Mutter Berta hatte mit 50 Jahren den Verein Wertacher Mühle gegründet. Die Innenarchitektin kaufte das heruntergekommene Haus und richtete es her. Sie war zu dem Zeitpunkt selbst ohne Partner und erkannte das Potenzial: Wo können alleinerziehende Mütter und Väter günstig Urlaub machen, sich mit anderen austauschen und gleichzeitig werden die Kinder in der Natur betreut, können mit Eseln spazieren gehen und im Heu übernachten? „Unsere Gäste schwärmten immer, bei uns sei es wie in Bullerbü.“ Die Sozialpädagogin sieht für die Mühle nach wie vor einen Riesenbedarf, sie habe schon viele Leute über schwere Zeiten getragen: „Gerade nach der Corona-Zeit brauchen die alleingelassenen Alleinerziehenden noch dringender als sonst einen Ort zum Auftanken. Und ihre Kinder erst recht!“
Nach dem Löschmanöver, für das am Ende sogar ein Bagger eingesetzt werden musste, stützte sich Natascha Glasow auf ein Netz aus Helfern. Sie reisten aus ganz Europa an, von der Schweiz bis aus Schottland. Gemeinsam sortierten sie Matratzen, Bettdecken, Glaswolle und Holzreste. Sie reinigten die Böschung und den Bach, sammelten Verkohltes auf. „Manche sind beim Anblick der Ruine in Tränen ausgebrochen“, erinnert sich Glasow. Sie kochte bis tief in die Nächte vor, damit die Helfer am nächsten Tag versorgt waren. „Ich habe auf Krisenmodus umgestellt.“
Die Versicherung offenbar nicht. Allein bis der Vertrag in deren Kontor gefunden wird, vergehen rund vier Wochen. Es folgen zähe Verhandlungen, monatelange Warterei, wechselnde Sachbearbeiter, viele Fragen. „Wir hatten das Gefühl, die wollen die Leute psychisch mürbe machen.“ Die Glasows nehmen sich einen Anwalt, zusätzlich nimmt ein freier Versicherungsmakler immer wieder Kontakt mit der Versicherung auf. Und auch der Architekt stößt auf Widerstände: Die Mühle hatte vor dem Brand Gemeinschaftsbäder, das aktuelle Baurecht für Beherbergungsbetriebe sieht aber vor, dass jedes Zimmer eine eigene Toilette und Waschgelegenheit bekommt. Also werden Bäder geplant, die die Versicherung nicht bezahlen will. Inzwischen beschäftigt sich auch die Politik mit der Causa. Die Freien Wähler wollen regionale Politiker und Betroffene anderer Brände, die von ähnlichen Verzögerungsmanövern der Versicherung berichten, an einen Tisch bringen.
Glasow kann inzwischen aufatmen: „Die Versicherung hat uns ein Angebot gemacht“, berichtet sie. „Und versprochen, dass der Wiederaufbau der Mühle nun Priorität hat.“ Aufgeben? Kam nie in Frage: „Ich bin ein Kämpfertyp. Mich stärkt aber auch die Solidarität der Menschen, unser Familienverbund, die vielen Briefe.“ Sie schreibt bereits an einem Buch über die Mühle und ihre Erlebnisse, vor und nach dem Brand. Manchmal braucht sie Medikamente zum Einschlafen, sonst grübelt sie die Nächte durch.