Hohenpeißenberg – Wenn sie auf der Wetterstation auf dem Hohen Peißenberg wissen wollen, wie trocken Bayern ist, brauchen sie keines ihrer hochmodernen Messgeräte. Dann gehen Wolfgang Steinbrecht, Ozon-Physiker, oder Stefan Schwarz, Wetterdienstleiter, raus in den Klimagarten und schauen in einen einfachen Eimer aus Edelstahl. Seit vier Wochen ist darin kaum Wasser. Das ist ein Problem: Aktuell herrscht höchste Stufe der Waldbrandgefahr. „Unsere Wälder bestehen größtenteils aus Fichten – es reicht also fast nur ein Gedanke an Feuer und schon brennt es“, warnt Schwarz.
Der Eimer mit Sieb und Trichter ist alte Schule, erklärt Schwarz, 49 Jahre alt, und versenkt ihn wieder im Boden. Dann steigt er die Stufe hinauf ins Klimahäuschen und liest das Thermometer ab. „Knapp über 25 Grad. Für uns Meteorologen ist das gerade so ein Sommertag, weil der Sommer ja erst bei 25 Grad beginnt.“ Und sein Kollege Steinbrecht, 59, sagt: „Mit einer Hitzewelle haben wir es in Bayern gerade nicht zu tun, um die 30 Grad bedeuten einfach nur Sommer.“ Aber die langfristige Entwicklung sei durchaus besorgniserregend: Vor 1990 habe die Jahresmitteltemperatur bei 6 Grad gelegen, heute bei 8,6.
Die Experten müssen die Wetterdaten natürlich längst nicht mehr vom Thermometer ablesen. Dafür gibt es hochsensible Messgeräte und Auswertungen durch Computer. Aber wenn die rund 60 Mitarbeiter der Wetterstation im Klimagarten Daten sammeln, hat das eine lange Tradition – ihr Arbeitsplatz auf 977 Metern ist das älteste Bergobservatorium der Welt.
Mönchen ist es zu verdanken, dass Forscher heute auf die fast 250-jährige und damit längste Messreihe an Wetterdaten überhaupt zurückgreifen können. Im nahen Kloster Rottenbuch begannen Geistliche schon 1781 mit Wetteraufzeichnungen. Schwarz sagt: „Früher haben die Mönche die Temperatur immer um 7.30, 14.30 und 21 Uhr gemessen.“ Das ist die sogenannte Mannheimer Stunde, ein standardisiertes Verfahren der Mannheimer Societas Meteorologica Palatina. Nach der Säkularisation führten ehemalige Konventmitglieder, Pfarrer und Dorflehrer die Messungen weiter. Erst auf dem Turm der Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt nebenan, dann in einer Wetterwarte. Die Nazis bauten die später zu einer Flug- und Radarbeobachtungsstelle aus. Seit 1952 betreibt sie der Deutsche Wetterdienst – neben dem Forschungsobservatorium auf dem Hohen Peißenberg gibt es nur noch ein weiteres in Lindenberg bei Berlin.
Für die Klimaforscher dreht sich hier im Landkreis Weilheim-Schongau längst nicht mehr nur alles um das Wetter. Wissenschaftlern wie Steinbrecht geht es vor allem um die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre. Über Maschinen, die auf dem Radarturm permanent Luft einsaugen, können sie Proben engmaschig sammeln, analysieren und vergleichen. Aerosole, Spurengase, Ozon und Stickoxide werden über lange Schläuche direkt in zwei Chemielabore geleitet. „Wir entwickeln neue Beobachtungsmethoden für den Radarbund und tauschen uns international mit anderen Stationen aus.“ Und neben der längsten Messreihe hat der Standort noch einen Vorteil: „Die Werte werden nicht durch eine Großstadt in der Nähe verfälscht, hier herrscht reinste Bergluft – sofern Luft rein sein kann.“
Steinbrecht hat schon allerhand aus der Luft gefiltert: „Anhand der Stickoxide haben wir schon vor dem Abgas-Skandal der Automobilbranche geahnt, dass da was nicht stimmt.“ Auch Vulkanasche haben die Hightech-Geräte eingefangen, bevor die Welt über den Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai im Pazifik gesprochen hat. „Unsere Druckwellenmesser haben sogar die Erschütterung gemessen. Eine Welle kam von rechts und eine von links über die Erdkugel gerollt.“ Und während des ersten Corona-Lockdowns registrierten die Experten mit ihrem Rußmonitor, dass die Luft in Bayern viel sauberer war. Den Klimaforschern auf dem Hohen Peißenberg entgeht einfach nichts. CORNELIA SCHRAMM