München – In Bayerns Städten sind nach Recherchen des Bund Naturschutz (BN) in den vergangenen zehn Jahren hunderttausende Bäume gefällt worden – ohne ausreichende Nachpflanzungen. Der Zustand der Städte sei langsam „nicht mehr lebensverträglich“, sagte BN-Vorsitzender Richard Mergner. Geschätzt bis zu 300 000 Bäume seien zwischen 2011 und 2021 in den 15 größten bayerischen Städten verschwunden. Gerade in Zeiten des Klimawandels sei es „dramatisch“, dass oft sehr alte und große Bäume der Motorsäge zum Opfer fielen.
Speziell die Landeshauptstadt sei ein eher unrühmliches Beispiel, sagt Mergner. Die Stadt zählt akkurat Fällungen und Nachpflanzungen sowohl auf öffentlichem Grund als auch in Privatgärten – aber das Ergebnis ist laut BN niederschmetternd. In den vergangenen zehn Jahren gab es einen Nettoverlust von 21 600 Bäumen. Nettoverlust heißt: Zahl der gefällten Bäume abzüglich Nachpflanzungen. Insgesamt wurden in München fast 100 000 Bäume umgesägt. Immer wieder gibt es Anwohnerprotest wegen radikalen Kahlschlags, aktuell in Schwabing.
Nicht viel besser schaut es in den anderen Städten aus. Nürnberg verlor netto fast 10 000 Bäume, dabei sind Fällaktionen aufgrund von Baumaßnahmen ausdrücklich nicht mitgezählt. In Regensburg wurden 2680 Bäume mehr gefällt als neu gepflanzt, In Landshut über 2000, in Amberg 1150. Ein Negativbeispiel ist Würzburg, wo über 10 000 Bäume verschwanden. Einige Daten deuten daraufhin, dass vor allem Privatleute mehr fällen als neu pflanzen. In Rosenheim wurden auf öffentlichen Grund nach Angaben des Umwelt- und Grünflächenamtes insgesamt 337 Bäume gefällt, aber 368 neu gepflanzt. Hingegen säbelten Privatleute im gleichen Zeitraum 3026 Bäume um und ersetzten davon nur 2308. In der Aufstellung fehlen ohnehin noch Fällungen wegen privater Baumaßnahmen – der BN vermutet eine Dunkelziffer. Insgesamt gebe es in den 15 Städten einen nachweisbaren Nettoverlust von 34 560 Bäumen. Mit Dunkelziffer seien es sicher 45 000 bis 50 000. Der Baumerhalt müsse nun oberste Priorität haben, forderte BN-Chef Mergner. Eine Baumschutzverordnung könne helfen. Es gibt sie aber nur in knapp 100 der 2056 bayerischen Kommunen. Wenn es sie gibt, kann in den Bebauungsplan für jeden einzelnen Baum festgelegt werden, ob er gefällt wird oder nicht. Die Kommunen schluderten hier jedoch, sagt der BN.
In Zeiten des Klimawandels seien Bäume enorm wichtig, sagt Christopher Busch, der Baumexperte des BN. Eine 60-jährige Linde hat nach Berechnungen der TU München eine jährliche Kühlleistung von 2000 Kilowattstunden – das entspricht vier handelsüblichen Klimaanlagen für Gebäude. Der BN hat am Mittwoch in München nachgemessen: Am baumlosen Marienplatz stieg die Temperatur auf 35,1 Grad, im Englischen Garten waren es drei Grad weniger. BN_Experte Busch warnt auch vor der Illusion, durch Nachpflanzungen alles ersetzen zu können. „Gerade um junge Bäume muss man sich kümmern, sie zum Beispiel regelmäßig wässern, daran fehlt es oft.“ DIRK WALTER