Missbrauch: Weitere Opfer melden sich

von Redaktion

München – Seit dem Münchner Missbrauchsgutachten vor einem halben Jahr sind bei der Erzdiözese Hinweise auf 48 neue Fälle eingegangen. Diese würden nun geprüft, teilte die Bistumsleitung mit. Bei der seit 20. Januar eingerichteten telefonischen Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene hätten sich 223 zumeist ältere Personen gemeldet, sagte Mitarbeiterin Elisabeth Dreyßig. 93 von ihnen hätten angegeben, sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Dies sei von ihrem Team nicht unmittelbar überprüft und auch nicht mit den bereits bekannten Fällen abgeglichen worden.

Die geschilderten Taten bezögen sich teils auch auf andere Bistümer und Orden. Insgesamt seien mehr als die Hälfte der Beschuldigten Priester gewesen, weitere 29 Prozent Ordensleute, erklärte Dreyßig. Gut jeder zehnte Beschuldigte komme aus dem Kreis der kirchlichen Mitarbeitenden. Auch einige Lehrkräfte sowie Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergärten seien darunter.

„Bei allem darf man nicht vergessen, dass es nicht nur Männer gibt, die sich schuldig gemacht haben, sondern auch Frauen haben sich missbräuchlich verhalten“, sagte Dreyßig. Die Psychologin betonte, dass viele Betroffene ein Leben lang unter dem Missbrauch litten, oft scheiterten sie in Beruf und in Paarbeziehungen. Sie bräuchten ein ganzes Leben therapeutische Begleitung, „nicht zur Heilung, sondern um im oder am Leben zu bleiben“. Eine alte Frau ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: „Sie hat 70 Jahre nach dem Missbrauch erstmals darüber gesprochen“, sagt Elisabeth Dreyßig.

Der Münchner Generalvikar Christoph Klingan betonte, dass die Beratungsstelle dauerhaft bleiben werde. Drei Stellen wurden dafür geschaffen. Zudem könnten sich Betroffene auch an zwei nichtkirchliche Angebote wenden: für Frauen die Organisation „Wildwasser“, für Männer das „Münchner Informationszentrum für Männer“ (MIM).

Die im Januar vorgestellte Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus – und von einem weit größeren Dunkelfeld. Seit die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) im Jahr 2020 höhere Zahlungen für Opfer sexuellen Missbrauchs beschloss, zahlte das Erzbistum nach Angaben von Amtschefin Stephanie Herrmann insgesamt 246 000 Euro aus. Von 50 Fällen, die bei der Unabhängigen Kommission anhängig waren, die über das Geld entscheidet, wurde bislang in 25 gezahlt.

Auf die Frage, ob sie die Höhe der Summen von 5000 bis zu 50 000 Euro für die Betroffenen für angemessen hält, sagt Dreyßig: „Wenn ein Leben verpfuscht ist, ist es nie genug.“

Das Gutachten hat nach ersten Zahlen der Kommunen einen weiteren Anstieg der Kirchenaustritte zur Folge gehabt. Bereits im vergangenen Jahr traten so viele Menschen aus der Kirche aus wie noch nie: 359 338 Katholiken, fast 86 600 mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Auch im Erzbistum München und Freising von Kardinal Reinhard Marx hinterlässt das inzwischen finanziell Spuren. Die Diözese rechnet für das laufende Jahr mit einem Verlust von mehr als 32 Millionen Euro. „Hier gibt es ganz klar eine negative Entwicklung“, sagt der Erzbischöfliche Finanzdirektor Markus Reif. Mit 622,6 Millionen Euro Kirchensteuer-Einnahmen rechnet das Bistum in diesem Jahr – moderate 25 Millionen weniger als 2021. Ein weiterer Grund für das Minus sind höhere Kosten durch die Inflation und Kostensteigerungen im Bauunterhalt.

Neben den Kirchensteuern bekam das Erzbistum im vergangenen Jahr auch noch 130 Millionen Euro öffentliche Zuschüsse, davon 63 Millionen für den Betrieb von Schulen und 13 Millionen für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Auch der Bischof wird aus staatlichen Geldern bezahlt – es gibt Verhandlungen, diese Praxis langfristig zu ändern.  kna/dpa

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