Die Zeugin mit der Maske schweigt

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Das Versteckspiel endet um 9.07 Uhr. Aber nur ein bisschen. Ums Eck gebogen kommt die Zeugin, genauer gesagt: ein vermummtes Etwas. Andrea Tandler hat sich in ein wallendes Kleid und einen Schal gehüllt, eine FFP2-Maske aufgesetzt, dazu eine dunkle Sonnenbrille, und darüber eine blaue Baseball-Kappe. In diesem Aufzug, wortlos und flankiert von einer Anwältin, will sie an den Kameras vorbeikommen in den Sitzungssaal.

Über Monate hat Tandler versucht, der Befragung zu entgehen. Leider verhindert. Leider erkrankt. Leider noch immer erkrankt. Bis dem Ausschuss der Kragen platzte, er über Ordnungsgeld und Vorführung durch die Polizei sinnierte und eine amtsärztliche Untersuchung anordnete. Der Amtsarzt notierte: vernehmungsfähig, notfalls mit Sonnenbrille gegen eine mögliche Lichtallergie.

Tandler schreitet an den Kameras vorbei, in den edlen Senatssaal des Maximilianeums, nimmt auf der Zeugenbank Platz und macht erstmal keine Anstalten, ihre Verkleidung zu entfernen. „Mütze und Maske aus Respekt vor dem Ausschuss abzunehmen“, ordnet der Vorsitzende an, Winfried Bausback heißt er, ein ehemaliger CSU-Justizminister. Widerwillig folgt sie, als die Kameras aus dem Saal verwiesen sind, die Brille bleibt auf.

Es ist gleichermaßen Schauspiel wie Machtprobe. Tandler ist eine zentrale Figur in der Affäre um Politiker und Geschäftsleute, die sich in den ersten Wochen der größten Corona-Not goldene Nasen verdienten. Sie soll für eine Firma von Schweizer Geschäftsleuten die Masken-Deals mit dem Staat vermittelt haben, aus heutiger Sicht grotesk überteuert, aber eben knappe Ware. Laut Medienberichten – die Zahl ist nicht offiziell – bekam Tandler dafür 48 Millionen Euro. Womöglich legal. Ermittelt wird gegen sie parallel wegen eines Anfangsverdachts des Gewerbesteuerbetrugs.

Sie könnte viel erzählen. Wie sie ihre enge Freundin Monika Hohlmeier, CSU-Europaabgeordnete, für ihre Zwecke einspannte und bei Politikern in München und Berlin Einfluss nehmen ließ. Wie hoch die Provisionen für wen wirklich waren. Warum Masken Mängel hatten. Welche Rolle der Abgeordnete Alfred Sauter spielte. Doch Tandler, Tochter eines ehemaligen CSU-Generalsekretärs aus Altötting, schweigt. Sie hat das Recht dazu wegen des laufenden Verfahrens.

„Ich bin 39 Jahre alt und Unternehmerin“, sagt sie nur, nennt dem U-Ausschuss eine Münchner Anschrift. Die restliche Abwimmelungsarbeit übernimmt ihre Anwältin. Und das mit Erfolg: Zur Sache ist nichts zu erfahren.

Es bleibt: Zorn. Ausschusschef Bausback, ein bis zur Ermüdung nüchterner, aber durchaus kundiger Jurist, geht bis an die Grenze. „Seien sie uns herzlich willkommen“, sagt er eingangs, aber in einem Ton, der die Saaltemperatur absinken lässt. In seiner Sitzungsleitung sinniert er über „eine Vielzahl von Ehrenamtlichen, die bis an die Grenze der Erschöpfung gearbeitet haben“ in der Pandemie. Und stellt dem gegenüber das Maskengeschäft, bei dem Tandler „dafür eine sehr hohe Provision eingestrichen“ habe.

Die Zeugin schweigt, setzt ihre Verkleidung auf und verlässt den Saal wieder. Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher (SPD) twittert anschließend, seit 1946 habe der Landtag noch „keine so respektlose Maskerade“ erlebt wie von Tandler. Hinter der Vermummung „verbergen sich Habgier und Gewinnsucht“.

Der Ausschuss geht nun weiter, es folgen noch ein paar Politiker als Zeugen in den nächsten Monaten, auch Ministerpräsident Markus Söder. Juristische Folgen sind unwahrscheinlich. Dass der Steuerzahler Teile der eingesetzten Mittel für die Masken wieder zurückerhält, gilt sogar als ausgeschlossen.

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