Straubing – Hohe Infektionszahlen, die Krankenhäuser seit Monaten im Dauerstress, eine mögliche Corona-Herbstwelle vor Augen – trotzdem wagt der Freistaat den Weg zurück in die Normalität. Am vergangenen Freitag startete im niederbayerischen Straubing das Gäubodenvolksfest. Mit rund 1,4 Millionen erwarteten Besuchern das zweitgrößte seiner Art in Bayern. Und das, während in der Landeshauptstadt bereits die Vorbereitungen für die Wiesn begonnen haben. Kaum verwunderlich, dass die Oktoberfestmacher ganz genau hinsehen, was sich da beim „kleinen Bruder“ tut.
„Natürlich feiert Corona mit“, sagt Josef Laumer, Landrat des Landkreises Straubing-Bogen. Um so mehr komme es auf die Eigenverantwortung der Besucher an, gibt Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr mit Blick auf das geltende Infektionsschutzgesetz zu bedenken. Die Stadt verteilt kostenlose Selbsttests, bittet kranke Menschen, dem Fest fernzubleiben.
Doch die Auswirkungen der Großveranstaltung auf das Infektionsgeschehen müssen sich erst noch zeigen. Feste in den vergangenen Wochen haben deutlich gemacht: Dort, wo viele Menschen zusammenkamen, stiegen im Nachgang die Fallzahlen. Die Bierwoche in Kulmbach in Oberfranken hatte etwa von Ende Juli bis zum 7. August stattgefunden; danach waren die Zahlen der Corona-Infektionen rasant angestiegen. Gestern lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 1589 und ist damit einsamer Spitzenreiter in ganz Bayern.
In der Stadt Straubing liegt die Sieben-Tage-Inzidenz dagegen derzeit bei 214, im Landkreis bei 248. Am Freitag wurden im Straubinger Klinikum St. Elisabeth elf Patienten mit Corona behandelt, nur einer auf der Intensivstation. Wie diese Zahlen nach elf Tagen Dauerparty aussehen werden, das ist jedoch ungewiss. Wird das Gäubodenfest zum „Trumm vom Paradies“, wie die Straubinger ihr Fest oft nennen, oder doch zum Superspreader-Event?
Das Publikum jedenfalls scheint unbesorgt. Wer auf dem Festplatz am Hagen Gäste mit FFP-2-Maske sucht, der braucht vor allem eines: viel Geduld. So gut wie niemand schützt sich durch das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung. Nur ganz vereinzelt sieht man in dem Pulk der Volksfestbesucher einen älteren Gast mit Maske. Über Abstands-Gebote braucht man angesichts des Gedränges ohnehin nicht ernsthaft nachdenken.
Feiern mit angezogener Handbremse? Das können die Straubinger nicht. „Das ist hier seit dem ersten Tag an Vollgas“, sagt am Samstag ein junger Mann in Tracht. Man sieht ihm an, dass die Freitagnacht anstrengend war. Und lang. „Macht nichts“, meint er, „es sind ja nur noch zehn Nächte.“ Wer wirklich Angst hat vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, dem bleibt wohl wirklich nur, dem Gäubodenvolksfest fern zu bleiben. Doch offenbar sind das nicht viele, blickt man auf den Besucherzuspruch.
Auch ist die Pandemie nicht mehr das alles beherrschende Thema im Gäuboden. Die Frage, ob in den Zelten nun der Ballermann-Hit „Layla“ zu hören sein werde, war für Gäste im Vorfeld vielfach spannender als die aktuelle Auflage des Infektionsschutzgesetzes. Und, soviel sei verraten: Layla wurde gespielt. In den proppevollen Bierzelten, an den voll besetzten Karussells und im Nachgang in den Kneipen, Bars und Discotheken.
Derweil wird die Stadt München ein genaues Auge darauf haben, was da in Niederbayern passiert – und vor allem all diejenigen, die mit der Organisation des Oktoberfests betraut sind. Denn nicht wenige sehen im Gäubodenvolksfest einen Testlauf für die Wiesn. Ob aber die Erfahrungen, die in Niederbayern gesammelt werden, noch rechtzeitig für das Oktoberfest gewonnen werden können – das steht auf einem anderen Bierfuizl.