München/Rottach-Egern – Vor einem Jahr starteten die Bayerischen Staatsforsten ein „großangelegtes Gams-Monitoring“. So heißt es in einer Pressemitteilung, die nun, ein Jahr nach Beginn, verschickt wurde. Um erste Zahlen zu veröffentlichen – obwohl mit den „ersten aussagekräftigen Ergebnissen“ eigentlich erst 2026 gerechnet werden könne. Trotzdem lassen die Bayerischen Staatsforsten ein paar Zahlen fallen: „Im Vergleich zu den ersten Zählungen 2020“, heißt es in der Pressemitteilung, „wurden im vergangenen Jahr bereits 1888 Gämsen gezählt – ein Plus von 228.“
Hört sich ganz positiv an, oder? Gerade die Worte „bereits“ und „Plus“ scheinen verhaltene Freude verbreiten zu wollen. Doch ob diese Zahlen erstens überhaupt etwas aussagen und zweitens etwas Positives, das bezweifeln außenstehende Experten. Etwa die Wildbiologin Christine Miller. „Die Aussage mit dem ,Plus’ ist fachlich so erbärmlich. Nicht einmal 2000 Gämsen, von der Salzburger Grenze bis an den Bodensee – das ist gar nix!“, sagt die Diplombiologin aus Rottach-Egern (Kreis Miesbach), die Gamsprojekte für die Deutsche Wildtierstiftung betreut und Vorsitzende des Vereins „Wildes Bayern“ ist. „Das sind wirklich mickrige Zählzahlen. Besonders, da man in Bayern doppelt so viele schießt.“
Im Jahr 2020 wurden laut Forstministerium 4096 Gämsen zur Strecke gebracht, minus 196 Stück „Fallwild“, also verunfallte oder verendete Tiere. Solche Abschusszahlen sind das Problem, über das Umweltschützer und Jäger mit den Förstern seit Jahren streiten – und mit ein Grund, warum die Staatsforsten das Monitoring-Programm starteten. „Wir wollen durch das wissenschaftlich begleitete Monitoring unserem Auftrag der verantwortungsvollen Bejagung gerecht werden“, so Vorstand Reinhardt Neft in der Pressemitteilung.
Doch was genau ist eine „verantwortungsvolle Bejagung“? Die Staatsforsten wollen grundsätzlich ihren Bergwald vor den Gämsen schützen. Das Bundesamt für Naturschutz will wiederum die Gämsen schützen. Denn auf seiner Roten Liste steht die Gams mittlerweile auf der Vorwarnliste: „Durch die gebietsweise Aufhebung der Schonzeiten (…) und stärkere Bejagung, die mit waldbaulichen Zielen begründet wird, (…) nehmen die Gämsenbestände in Bayern vielerorts ab.“ Erstaunlicherweise tat die Bayerische Landesanstalt für Forstwirtschaft (LWF) nach einer Landtagsanfrage diese Einstufung im Juli 2022 recht salopp ab: „Die Aufnahme der Gams in die Vorwarnliste der Roten Liste erscheint wissenschaftlich nur begrenzt fundiert!“, hieß es in der Stellungnahme. Warum? Nun: Weil die Gams nur deutschlandweit gesehen selten sei – in Bayern jedoch sei sie „durchaus häufig anzutreffen“. Wie häufig? Das weiß man nicht so genau.
Ähnliche Aussagen stießen schon beim Bayerischen Jagdverband auf Widerspruch. Im Oktober 2021 sagte deren Präsident Ernst Weidenbusch: „Wir können nicht ausschließen, dass das Ministerium von der LWF getäuscht wurde.“
Die Biologin Miller hat zu den neuesten Zahlen jedenfalls klare Worte: „Man muss sich fragen, ob man keinen einzigen Experten in den eigenen Reihen hat – oder ob man bewusst in die Irre führt.“