München – Das Dunkelfeld – wie kann man es erhellen? Wie können die Menschen ermutigt werden, sich zu melden, die als Kinder im Münchner Erzbistum von katholischen Priestern oder kirchlichen Mitarbeitern sexuell missbraucht worden sind? Die sich bisher aus Scham nicht gerührt haben oder es psychisch nicht geschafft haben, das elende Kapitel aus der Vergangenheit noch einmal aufleben zu lassen und mit der Täter-Organisation in Kontakt zu treten?
„Es gibt Menschen, die brauchen ein halbes Jahr, um überhaupt einen Antrag zur Anerkennung des Leids auszufüllen“, weiß Michaela Huber, Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) der Münchner Erzdiözese. Ein Tag der Begegnung in der Hanns-Seidel-Stiftung in München, ohne Presse und Öffentlichkeit, soll am 23. September Betroffenen helfen, sich in einem geschützten Raum zu informieren, welche Hilfsangebote die Kirche für sie bereithält. In Präsenz mit namentlicher Anmeldung oder anonym per Videostream.
Die Teilnehmer vor Ort haben aber auch Gelegenheit, mit Kardinal Reinhard Marx, Generalvikar Christoph Klingan und der Amtschefin des Ordinariats, Stephanie Herrmann, persönlich zu sprechen oder mit ihnen einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Vor Ort sind auch Vertreter von nicht-kirchlichen Beratungsstellen wie Wildwasser, dem Münchner Männerzentrum sowie der LMU-Trauma-Ambulanz. „Diese kirchenfernen Organisationen begleiten die Betroffenen auch beim Ausfüllen der Formulare“, betont Huber.
Die Kommission möchte wissen, was die Betroffenen wollen, sie stehen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Die Schulpsychologin Huber kennt die Hemmschwellen, die Missbrauchsopfer überwinden müssen. „Dass sich die Menschen trotz aller Probleme auf diesen Weg einlassen“ – das sei der Zweck des Treffens. Es geht keinesfalls um die Statistik, versichert Huber. „Ich glaube, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Thema – und sei es nur am Stream – ein Schritt sei kann, sich ein Stück zu befreien und vielleicht nicht mehr nur Opfer zu sein.“ Wenn Menschen merkten, der Missbrauch ist für sie noch ein Thema, sollen sie sich auf den Weg machen.
Bei der Begleitung von Betroffenen hat Huber erlebt, dass ihnen oft die Worte fehlen, um präzise zu beschreiben, was bei dem Missbrauch passiert ist. Die Schilderung sei aber extrem wichtig für die anschließende Beurteilung durch die Fachleute. Denn sie müssten darüber befinden, wie sehr das Erlebte das Leben der Opfer beeinträchtigt hat – und wie hoch dann eine finanzielle Anerkennungsleistung ausfällt.
Veranstalter des Begegnungstags ist die Aufarbeitungskommission, sagt Huber. „Wir sind unabhängig und haben die Kirche eingeladen mit dem Hinweis darauf, dass sie sich der Thematik der einzelnen Leute stellen.“ Um Betroffenen auf dem Weg zur Auseinandersetzung mit dem schwierigen Missbrauchsthema zu helfen, soll es beim Begegnungstag ganz sachliche Informationen darüber geben, welche Hilfen die Erzdiözese anbietet. Auch Ansprechpartner stellen sich vor – die Teilnehmer können wählen, mit wem sie sprechen möchten.
In einem Raum können sich Betroffene vernetzen – zum Beispiel alle, die von Pfarrer Peter Hullermann missbraucht worden sind. „Das finden wir gut“, haben Betroffene der Organisatorin im Vorfeld gesagt. „Du schaust den andern an und weißt genau, was der auch erlebt hat.“ Im Plenum können die Teilnehmer Anregungen äußern, dann wird der Kardinal sprechen. Im Anschluss stehen alle Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung.
Der Begegnungstag kann nur ein kleiner Beitrag sein bei dem Versuch, das Missbrauchsthema in der katholischen Kirche aufzuarbeiten. „Ich glaube, dass die Kirche damit leben muss wie mit den Kreuzzügen und der Hexenverbrennung. Es wird nicht aufzulösen sein“, sagt die Psychologin. Das Einzige, was Kirche jetzt tun kann, ist „so gut wie möglich für die zu sorgen, die darunter leiden. Und dafür zu sorgen, dass in der Zukunft nichts mehr passiert.“ Der Begegnungstag ist bewusst für die Geschädigten ausgerichtet – Medien sind unerwünscht, um die Betroffenen zu schützen.
Anmeldungen
bis 9. September unter 089/21 37-77 000 bei der Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch oder online unter www.erzbistum-muenchen.de/anmeldung-uak-begegnungstag. Am Veranstaltungstag gibt es einen Live-Stream unter www.erzbistum-muenchen.de/aufarbeitungskommission