Nicole Baudrexl ist Gesundheits- und Krankenpflegerin in Prien am Chiemsee – aber seit fünf Jahren bietet die 40-Jährige ganz besondere Bergtouren an. Und zwar nur für Frauen. Mit „Ladiestour.bayern“ ist sie sehr erfolgreich, man erwischt sie selten im Tal. Sie erklärt, was Frauen am Berg anders machen als Männer.
Eine Wanderagentur nur für Frauen – wie kommt man darauf?
Ich bin schon seit 20 Jahren in den Bergen unterwegs und fand es immer toll, wenn sich Frauenseilschaften oder Frauengruppen gefunden haben. Nachdem ich beim Alpenverein meine Ausbildung gemacht hatte, habe ich eine erste Frauentour angeboten. Das war super. Und vor fünf Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. Die Touren waren schnell ausgebucht. Als ich Probleme mit meiner Achillessehne hatte und selbst keine Touren mehr anbieten konnte, habe ich gemerkt, dass ich das alleine nicht mehr schaffe. Seitdem arbeite ich mit etwa 15 anderen Berg- und Wanderführerinnen zusammen.
Wandern Frauen anders als Männer?
Naja, sie wandern nicht anders. Die setzen auch einen Fuß vor den anderen. Aber die Stimmung ist anders. Sie schauen anders aufeinander.
Wie denn? Ist in Frauengruppen nicht eher Zickenkrieg angesagt?
Ja, so bin ich auch gebrandmarkt. Aber es ist das genaue Gegenteil. Der Klassiker: Wenn eine sagt, sie hat gerade ihre Periode und kann nicht so schnell, dann fragen ständig alle nach: Geht’s noch bei dir? Wenn eine ihre Brotzeit vergessen hat, wird geteilt. Das hat mich total überrascht.
Woher kommt die Harmonie zwischen meist völlig fremden Frauen?
Vielleicht weil es beim Wandern keine Konkurrenz gibt. Da will keine besser da stehen. Der Freizeitcharakter nimmt den Druck raus.
Naja, Bergtouren sind ja schon auch anstrengend und richtiger Sport.
Auf jeden Fall. Die Alpenüberquerung, die wir anbieten, ist eine lange Tour mit ordentlich Kilometern und Höhenmetern. Die Frauen geben da Gas, sie trainieren dafür, laufen Marathon. Sie sind schon ehrgeizig. Aber in einer solchen Gruppe wird der Ehrgeiz losgelassen.
Sind Sie eine Emanze?
Nein! Ich bin glücklich mit einem Mann verheiratet. Ich bin auch sehr leistungsorientiert aufgewachsen. Aber als ich zum ersten Mal auf eine Frauengruppe getroffen bin, habe ich gemerkt, dass das keine Rolle spielt. Ich habe zum Beispiel oft geweint, wenn ich beim Klettern nicht weitergekommen bin, weil meine Kondition nicht gereicht hat. Oft haben sich völlig fremde Frauen zu mir gesetzt und gesagt: Ich bleibe jetzt bei dir. Diese Unterstützung hat mich beeindruckt. Und es ist auch nicht so, dass mir das Wandern mit Männern keinen Spaß macht, überhaupt nicht. Aber mir gefällt an den Frauengruppen, dass wir sehr offen reden, obwohl wir uns nicht kennen.
Worüber denn?
Ich bin manchmal selbst erstaunt, welche Themen da auf den Tisch kommen. Unerfüllter Kinderwunsch, psychische Probleme, aber auch Arbeitszeitmodelle.
Gab es Situationen, in denen Sie doch gerne einen Mann dabei gehabt hätten?
Am Anfang konnte ich mich noch nicht so gut durchsetzen. Wenn ich zum Beispiel eine konditionell schwache Frau dabei hatte und ihre schweren Sachen aus dem Rucksack übernehmen wollte – sie das aber nicht zuließ. Ich dachte dann: Ein Mann hätte sich leichter getan. Aber das ist Schmarrn.
Werden Sie als Frauengruppe am Berg manchmal belächelt?
Am Anfang habe ich das mehr erwartet, dass man uns belächelt. Manchmal wurden wir gefragt, ob wir eine Abkürzung zum Gipfel genommen haben oder so was. Es wird immer weniger. Ich weiß nicht, ob das an meiner veränderten Einstellung liegt oder am Zeitgeist.
Sind reine Frauengruppen am Berg denn ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung? Oder eher das Gegenteil?
Da bin ich mir oft nicht sicher. Man separiert sich ja mit dieser Extrawurst. Cool wäre es, wenn man sich in einer gemischten Gruppe auf Augenhöhe treffen könnte. Aber wir stärken auf jeden Fall das Selbstbewusstsein. Unsere Frauen merken, sie sind nicht langsam. Nur im Vergleich zu ihrem Kerl daheim.
Aber ein Kerl würde abgewiesen, wenn er mit den Mädels auf Tour gehen will?
Bei den Frauentouren schon. Wir haben auch vereinzelt gemischte Touren. Ich bekomme immer wieder Anfragen von Männern, weil es ihnen gefällt, dass bei uns der Spaß im Vordergrund steht. Ich werde oft gefragt, ob es sowas Entspanntes auch für Männer gibt.
Und?
Ich kenne kein Angebot in dieser Art. Ich habe früher viele Hochtouren auf der ganzen Welt gemacht, da war ich immer die einzige Frau. Das geht vielen so. Wenn die Männer immer in der Überzahl sind, brauchen sie wohl keine eigene Agentur. Aber wer weiß, vielleicht biete ich das in der Zukunft mal an.
Was ist die anspruchsvollste Tour, die Sie anbieten?
Das ist der Großglockner. Erst geht es auf dem Wanderweg los, dann über einen Gletscher mit Steigeisen, Pickel, Gletschergurt. Man seilt sich an. Ein Stück Klettersteig und zum Schluss noch eine leichte Kletterei bis zum Gipfel. Das ist schon anspruchsvoll. Da ist auch nur eine Führerin für drei Teilnehmerinnen da.
Und welcher Moment ist Ihnen in besonderer Erinnerung?
Einmal hat eine Frau auf der Ötztaltour zu mir gesagt, sie sei so froh, dass sie auf uns gestoßen ist. Weil das eine völlig neue Welt ist, die sich für sie erschließt. Das hat mich so berührt. Die Frau ist jetzt Stammkundin und mindestens zweimal im Jahr dabei, sie hat ihr ganzes Leben umgestellt. Es ist unglaublich, so eine Veränderung mitzubekommen. Und die Alpenüberquerung ist für viele ein großer Traum, manche stehen mit Tränen da und sind so glücklich. Das ist immer wieder sehr berührend. Und das nutzt sich auch nicht ab.
Interview: Carina Zimniok