Wozu Hetze führen kann

von Redaktion

Ein Starnberger droht mit „Volkstribunal“ – am Ende ist eine Ärztin tot

VON DIRK WALTER

Starnberg/Seewalchen – Auf Twitter gab er sich den Namen „@RomanM56187194“ – warum die vielen Zahlen, weiß vermutlich nur er. Roman M., 59, aus Starnberg ist einer von Tausenden, die anonym gerne Dampf ablassen. Ein Tweet hat nun allerdings ernste Konsequenzen: Er führte zu Ermittlungen wegen Bedrohung und Nachstellung. Anfang August hat die Kripo auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft München die Wohnung von Roman M. durchsucht und Datenträger sichergestellt. „Der Beschuldigte zeigte sich dabei kooperativ“, heißt es in der anschließend veröffentlichten Pressemitteilung.

Ein Tweet hatte die Behörden – nach langem Zögern – zum Handeln bewegt. Es ist ein Tweet, den die österreichische Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr Ende Juni öffentlich gemacht hatte. „Frau Dr. Kellermayr“, hatte Roman M. geschrieben, „wir beobachten Sie, und, wir werden solche Kreaturen vor die in Zukunft einzurichtenden Volkstribunale bringen!“ Als Dr. Kellermayr diese Drohung sichtbar machte, war sie schon am Ende ihrer Kräfte.

Die 36-jährige Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis in Seewalchen am Attersee in Oberösterreich war seit 2021 zunehmend ins Fadenkreuz von Corona-Leugnern und Querdenkern geraten. Seit Beginn der Pandemie hatte sie engagiert auf die Gefahr durch Coronainfektionen aufmerksam gemacht, hatte für die Impfungen geworben und auch mit ihrer Meinung über die Szene der Pandemie-Leugner nicht hinterm Berg gehalten. Kampfplatz waren – nicht nur, aber auch – die sozialen Medien, vor allem Twitter. Auf Drohungen folgten physische Nachstellungen. Dr. Kellermayr fühlte sich am Ende so bedroht, dass sie einen Wachdienst engagierte, der insgesamt vier Patienten in ihrer Praxis tatsächlich Butterfly-Messer abnahm. Von österreichischen Behörden, auch von der Polizei, fühlte sie sich nicht ernst genommen. Im Juni schloss sie ihre Ordination, wie in Österreich Arzt-praxen genannt werden. „Seit mehr als 7 Monaten bekommen wir in unregelmäßigen Abständen Morddrohungen aus der Covid-Maßnahmengegner- und -gegnerinnen-Szene“, schrieb sie zur Begründung auf der Homepage ihrer Praxis. Einen Monat später, am 29. Juli, nahm sie sich das Leben.

In Österreich ist der Suizid der Ärztin seit Wochen ein wichtiges Thema, selbst Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen kondolierte. Er rief dazu auf, „dieses Einschüchtern und Angst machen“ zu beenden: „Hass und Intoleranz haben in unserem Österreich keinen Platz.“

Weniger bekannt wurde, dass zwei der übelsten Nachsteller von Dr. Kellermayr aus Deutschland stammten. Neben Roman M. war dies ein Twitter-User namens „Class, der Killer“, bei dem es sich laut „Spiegel“ um einen sattsam bekannten Berliner Neonazi handeln soll. Gegen ihn, der Kellermayr mit Mord drohte, wird nun ebenfalls ermittelt.

Auch Roman M. hat eine kriminelle Vorgeschichte: Zu ihm liegen, wie die Generalstaatsanwaltschaft bestätigt, „zahlreiche Eintragungen im Bundeszentralregister“ vor – M. ist unter anderem wegen Diebstahls, Betrugs, Untreue und Körperverletzung vorbestraft. Zurzeit betreibt M. in Starnberg ein Online-Versandgeschäft – und das hat indirekt auch zu seiner Enttarnung beigetragen. Denn seine Drohung mit dem „Volkstribunal“ hatte M. offenbar per E-Mail mit seiner Geschäftsadresse verschickt. So war es wenig erstaunlich, dass eine Internet-Aktivistin schnell den Klarnamen von M. herausfand und den österreichischen Behörden – die sich hier ziemlich blamierten – auch Hinweise auf die Identität von „Class“ geben konnte.

Allerdings reagierten auch deutsche Behörden nach allem, was man weiß, eher zögerlich. Eine Frage ist, warum sich die bayerischen Behörden erst nach dem Tod von Dr. Kellermayr zu einer Durchsuchung der Räume von M. entschlossen.

Die Antwort, die die Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage unserer Zeitung gibt, lässt nur den Schluss zu, dass Behördenmühlen manchmal sehr langsam mahlen. Nach ersten Hass-Postings, so Pressesprecher Klaus Ruhland, hätten die österreichischen Ermittler im Februar dieses Jahres recherchiert und „im Wege der Amtshilfe“ die Polizei in Deutschland konsultiert. „Die Rückantwort erfolgte dann ebenfalls auf dem Polizeiwege.“ Die Staatsanwaltschaft Wels (Oberösterreich) stellte die Ermittlungen zu M. daraufhin ein, übergab den Fall aber nach Bayern. M. fasste das als Erfolg auf: „Sie (Dr. Kellermayr – d. Red.) hat mich bei der Staatsanwaltschaft dafür angezeigt, die Anzeige wurde mangels strafrechtlicher Substanz eingestellt.“ Und dann teilte M. noch mit: „Das Tribunal, d(a) bin ich mir pers.(önlich) sicher, wird kommen.“

Ende Juni wurde dann aber von der Staatsanwaltschaft in Wels zunächst die Staatsanwaltschaft Traunstein über den Fall informiert, die den Sachverhalt dann an die Staatsanwaltschaft München II und die wiederum an die für Extremismus zuständige Generalstaatsanwaltschaft abgab. Als die Durchsuchung am 5. August stattfand, war Dr. Kellermayr indes schon tot.

Von der Durchsuchung seiner Wohnung und der Ermittlung scheint Roman M. auch heute noch nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Er hat jetzt ein neues Feindbild gefunden: die Internet-aktivistin, die ihn lange vor den österreichischen wie deutschen Behörden identifiziert hatte. In einer E-Mail von vergangener Woche attackiert er sie. Sie verbreite Hass und Hetze gegen ihn – der Wortlaut der E-Mail, in der auch wilde Theorien über angeblich real existierende Volkstribunale ausgebreitet werden, liegt unserer Redaktion vor. Er selbst werde nun Anzeige erstatten wegen Falschbehauptungen, erklärt M. weiter. Und außerdem: Mit Gewaltaufrufen gegen Dr. Kellermayr habe er gar nichts zu tun.

Die Ermittlungen gegen M. laufen indes weiter, die Auswertung der Datenträger, so die Generalstaatsanwaltschaft, sei „noch nicht abgeschlossen“.

Der Twitter-Account von „RomanM56187194“ ist mittlerweile gesperrt.

Eine Ärztin im Visier der Corona-Leugner

Die Drohung mit dem Volkstribunal

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