100 Zeugen, 57 Prozesstage, ein Geständnis

von Redaktion

VON ANGELA WALSER

Starnberg/München – Zunächst sah es so aus, als habe ein junger Mann in einer Januarnacht im Jahr 2020 in Starnberg erst sich selbst und dann seine Eltern erschossen. Doch der Fall ist viel komplexer: Es scheint erwiesen, dass es sich um einen eiskalten Dreifachmord handelt. Als Haupttäter steht seit einem Jahr ein 22-Jähriger aus Olching (Kreis Fürstenfeldbruck) vor Gericht – ein Freund des erschossenen Starnbergers. Ein damals 19-jähriger Kumpel soll ihn zum Tatort chauffiert und ihm geholfen haben, eine große Menge von Schuss- und Kriegswaffen in sein Auto zu laden.

Heute vor einem Jahr begann am Landgericht München II der Prozess über den Dreifachmord von Starnberg. Und ein Ende ist nach 57 Verhandlungstagen noch nicht in Sicht. Das Verfahren ist ungewöhnlich umfangreich: 100 Zeugen und 17 Sachverständige müssen aussagen. Dazu kommt die Aufarbeitung des riesigen Datenbestandes von 650 Sprachnachrichten, Fotos und Videos. Corona-Erkrankungen wie Corona-Quarantänen auf allen Seiten führten zu weiteren Verzögerungen. Doch Verteidiger Alexander Betz ist sich sicher: „Es wird nicht noch ein Jahr dauern“.

Zum Prozessauftakt hatten die Verteidiger des Mittäters einen Kuchen samt Kerzen mitgebracht. Ihr Mandant wurde an diesem Tag 20 Jahre alt. Doch die Vorsitzende Richterin Regina Holstein erlaubte es nicht, dass die Linzer Torte ins Gefängnis München-Stadelheim gelangte. Es sollte der Anfang vieler Konfrontationen zwischen Gericht und den Verteidigern des Mittäters sein.

Der Haupttäter aus Olching war der Polizei ins Netz gegangen, als er wegen illegalen Waffenhandels kontrolliert und zur Inspektion gebracht wurde. Auf der Fahrt gestand er völlig überraschend den Dreifachmord von Starnberg. Im Prozess schwieg er lange Zeit. Erst im März, am 44. Verhandlungstag, legte er ein Geständnis ab. Er trug sieben handgeschriebene DIN-A-4-Seiten vor. Unter anderem belastete er auch seinen mitangeklagten Freund schwer, behauptete, der habe ihn in Kenntnis der Mordabsicht nach Starnberg gefahren und samt der Waffen dort abgeholt. Die habe man gemeinsam verkaufen wollen. Und der Freund habe auch um ein Video vom Tatort gebeten. Bei dem Haupttäter handelt es sich wie bei seinem getöteten Kumpel um Waffennarren. Der erschossene 23-jährige Starnberger machte gerade eine Ausbildung zum Büchsenmacher.

Nach diesem Geständnis sah sich die Verteidigung des Mittäters gezwungen, verschiedene Zeugen erneut zu hören. Außerdem kündigten die Juristen rund 1600 Fragen an den Haupttäter an, die bislang aber noch nicht gestellt wurden. Dafür machten sie ihre Ankündigungen wahr, sinngemäß „jeden Stein umzudrehen“. Ihren Mandanten ließen sie nicht aussagen. Dafür stellten die Anwälte viele Beweisanträge sowie sieben Befangenheitsanträge gegen das Gericht. Sie verlangten Glaubwürdigkeitsgutachten wie Verwertungsverbote und Anordnungen zu Corona-Maßnahmen. Zudem überraschten sie mit Zeugen, die manchmal nur Zeit kosteten, manchmal aber auch eine ganz neue Variante in das Verfahren brachten, wie zum Beispiel die Spekulation über einen möglichen Auftragsmord. Der Prozess wird nach der Sommerpause im September fortgesetzt.

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