München – Mit jetzt 30 Cent pro Kilowattstunde haben sich die Preise für Erdgas binnen zweier Jahre verfünfzehnfacht. Das liegt am Ausfall großer Lieferungen aus Russland. Kurzfristig ist kaum Besserung in Sicht – doch Forscher blicken optimistisch in die Zukunft.
Woher kommt das Gas?
„2021 kamen noch rund 40 Prozent des europäischen Gases aus Russland“, erklärt Eren Çam, Leiter Bereich Energierohstoffe am Energiewirtschaftlichen Institut zu Köln (EWI). „Dazu kamen rund 20 Prozent aus Norwegen und 13 Prozent aus Nordafrika.“ 75 Prozent der Gesamtlieferungen flossen über Pipelines: „Flüssiggas (LNG) muss unter hohem Energieaufwand gekühlt, verschifft und regasifiziert werden, dadurch ist es teurer als Pipelinegas“, erklärt Çam. Russisches Pipeline-Gas sei historisch gesehen mit niedrigeren Kosten verbunden: „2018 hat Gas an der Börse zwischen 2 und 2,5 Cent pro Kilowattstunde gekostet – am Terminmarkt sind wir inzwischen bei 30.“ Das liegt vor allem daran, dass russisches Gas jetzt durch LNG-Importe, etwa aus den USA und Katar, ersetzt werden muss. Der kurzfristige Anbieterwechsel ist teuer. Derzeit stellt das Flüssiggas mehr als 30 Prozent der europäischen Importe, gefolgt von Pipelinelieferungen aus Norwegen mit mehr als 25 Prozent und Russland mit inzwischen unter 15 Prozent.
Warum schließen wir keine Lieferverträge ab?
Laut Tobias Federico, Chef der Energieberatungsagentur Energy Brainpool, liegt das vor allem an der ungünstigen Verhandlungsposition Deutschlands: „An den kurzfristigen Spot-Märkten werden gerade Mondpreise bezahlt, dadurch können wir unseren Bedarf aktuell decken. Für günstigere Konditionen bräuchten wir aber langfristige Lieferverträge.“ Doch die weltweiten Kontingente sind bereits weitgehend verkauft, der Bau neuer Anlagen dauert Jahre. „Dementsprechend ist es möglich, dass den deutschen Delegationen in Katar, Nordafrika und Kanada Verträge mit zu hohen Konditionen vorgestellt wurden.“ Es könne daher sinnvoll sein, fallende Weltmarktpreise abzuwarten.
Doch auch Zweifel auf der Anbieterseite sind ein möglicher Grund für das Scheitern der Verhandlungen: „In Deutschland macht nicht der Staat Verträge, sondern Unternehmen. Und die kommen gerade, wie das Beispiel Uniper zeigt, in große Liquiditätsprobleme.“ Einfach gesagt: „Es würde mich nicht wundern, wenn ausländische Anbieter deutschen Firmen über Langfristverträge kein Gas verkaufen wollen, weil sie nicht wissen, ob diese es bei fallenden Preisen weiterverkaufen können.“ Denn bei einer Insolvenz der Firmen drohen Zahlungsausfälle. „Vermutlich deshalb will der Bund die Uniper durch die Pflichtwandelanleihen mit möglichst viel Eigenkapital versorgen“, sagt Federico.
Doch weshalb ist es Italien gelungen, einen Handel mit Katar abzuschließen? „Die italienischen Energiekonzerne haben zwei Vorteile: Zum einen sind sie teilstaatlich, was sie für Vertragspartner vertrauenswürdiger macht. Zum anderen waren sie nicht so von russischem Gas abhängig wie etwa Uniper. Dadurch müssen sie weniger ersetzen, stehen finanziell stabiler da.“
Woher kommt das Gas in Zukunft?
In der Zukunft könnten sich die Gaspreise wieder normalisieren, glaubt EWI-Forscher Çam: „Die internationale LNG-Nachfrage ist riesig und wachsend. Gerade die asiatischen Länder haben sich über teilweise jahrzehntelange Verträge eingedeckt.“ Gibt es in Asien strengere Winter, müsse zugekauft werden, was die Preise für das frei verfügbare LNG nach oben treibe. Wenn Europa kein Gas mehr aus Russland bezieht, müssen neue Quellen erschlossen werden. „Russisches Gas komplett durch Pipelines, etwa aus Norwegen, zu ersetzen, ist nicht möglich“, so Eren Çam. Ein Teil müsste über LNG abgedeckt werden: „Das größte Potenzial, sowohl für die Gasförderung als auch den Bau von LNG-Terminals, sehen wir in den USA. Sie könnten künftig mehr als ein Drittel der europäischen Gasimporte stemmen und damit der wichtigste Lieferant werden“, erklärt EWI-Forscher Çam.
Der weitere Ausbau – und damit auch der Preis – hängen davon ab, ob Russland weiteres Gas anbietet. „Sollte Russland weiter in geringem Umfang Gas nach Europa liefern, werden die USA nach unseren Simulationen bis 2030 zwischen 924 und 1188 Terawattstunden jährliche Verflüssigungskapazität zubauen. Falls Russland nichts mehr liefert, wären es bis zu 1518 Terawattstunden.“ Zum Vergleich: Deutschland verbraucht in normalen Jahren rund 1000 Terawattstunden Gas.
Wie teuer ist Gas in Zukunft?
Die aktuellen Diskussionen um hohe Gaspreise drängen auch die Frage nach den Kosten auf: „Selbst ohne russische Lieferungen und bei einer steigenden Nachfrage aus Asien kann Europa die Gaspreise durch eine sinkende Nachfrage langfristig drücken“, erklärt Eren Çam. Dafür müsste der europäische Gasverbrauch um bis zu 36 Prozent sinken – das entspricht rund 1600 Terawattstunden. Dies kann vor allem durch Effizienzsteigerungen und den Einsatz von Wärmepumpen gelingen. „Wichtig ist dafür auch die verstärkte Produktion von Biogas: Zurzeit sind es etwa 33 Terawattstunden pro Jahr – eine Verzehnfachung bis 2030 wäre notwendig.“
Gelänge es, die Nachfrage derart zu senken, rechnet Çam mit einer deutlichen Erleichterung bei den Gaspreisen: „In diesem Szenario könnten wir 2030 für Nordwesteuropa ein Niveau zwischen 1,8 und 2,2 Cent pro Kilowattstunde sehen – in etwa wie 2018“, sagt der Energie-Experte. Bleibt die Nachfrage weiter hoch und das russische Gas aus, könnte es 2030 mit einem Preis von etwa 5,9 Cent teuer bleiben.
Sollte Russland bis 2030 weiter Gas in reduziertem Umfang liefern – und Europa auf dem gleichen Niveau verbrauchen wie bisher – zeigen die EWI-Analysen im Jahr 2030 einen Gaspreis von rund 2,8 Cent.