Antragsflut in den Jobcentern

von Redaktion

München – Bernhard Reimls Arbeitstage sind lang – seit Wochen. Seinen Kollegen im Jobcenter in Freising geht es genauso. „Wir arbeiten momentan weit über der Belastungsgrenze“, sagt er. „Die schiere Menge an Anträgen bringt uns an unsere Grenzen.“ Das hat mit der Pandemie zu tun: Viel mehr Menschen sind auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Am 1. Juni kamen dann auf einen Schlag noch mal 670 weitere Anträge dazu – weil die Zuständigkeit für die Geflüchteten aus der Ukraine von den Ausländerbehörden auf die Jobcenter übergegangen ist. „Wir haben weitere Stellen bekommen und auch finanzielle Mittel“, sagt Reiml. „Aber wir finden niemanden, der diese Stellen besetzen möchte.“ Acht Stellen sind vakant. Wohl weil die Sozialbehörde kein attraktiver Arbeitgeber ist, vermutet er. Komplexe Rechtsfragen, viele Klienten und Einzelschicksale, die oft belastend sind.

Im Freisinger Jobcenter bemühen sie sich, der Lage Herr zu werden. Die Mitarbeiter stellen sogar Urlaub zurück und bauen Überstunden auf. Trotzdem sind die Bearbeitungszeiten aktuell lang. Und das bekommt auch die Caritas zu spüren. Dort werden aktuell viele Menschen vorstellig, die auf Leistungen vom Jobcenter angewiesen sind – und seit Wochen darauf warten. Gerade in Zeiten, in denen die Preise für alles steigen, sorgt das für große Verzweiflung, berichtet Alexandra Myhsok, die Freisinger Kreisgeschäftsführerin der Caritas. „Wir versuchen ihnen mit Überbrückungsleistungen auszuhelfen bis sie ihr Geld vom Jobcenter bekommen.“

Auch in anderen Regionen muss die Caritas Bedürftigen aushelfen – allerdings nirgendwo so sehr wie im Kreis Freising, berichtet eine Sprecherin der Caritas München und Oberbayern. Das hänge auch damit zusammen, dass gerade in der Flughafen-Region während der Corona-Zeit viele Menschen ihren Job verloren haben und auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Im Jobcenter in Dachau mussten Peter Schadl und sein Team die vergangenen Wochen ebenfalls deutlich mehr arbeiten als zuvor. „Wir hatten uns gut vorbereitet“, betont er. Aber die Antragsflut konnte das nur bedingt abfangen. „An manchen Wochenenden kamen über 200 Mails bei uns an“, berichtet Schadl. Über 500 Anträge ukrainischer Flüchtlinge hat das Dachauer Jobcenter bereits bewilligt. Doch die eigentliche Arbeit gehe jetzt erst richtig los. „Wir müssen nun für alle die passenden Unterstützungsangebote finden und die Geflüchteten in Arbeit zu vermitteln“, erklärt er. Dazu sind viele Einzelgespräche nötig. Auch bei der Kinderbetreuung und beim Bewerbungsschreiben bräuchten viele Geflüchtete Hilfen.

Einige Jobcenter laden zu Gruppenveranstaltungen ein, um vielen gleichzeitig zu vermitteln, was Hartz-IV bedeutet. Manchmal müssen sie sogar noch kompliziertere Dinge erklären. Zum Beispiel, warum man arbeiten sollte, auch wenn man dadurch nicht viel mehr verdient, als wenn man es nicht tut. An einer mangelnden Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes werde es jedenfalls nicht scheitern, sagt Andreas Baumann vom Jobcenter in Bad Tölz-Wolfratshausen. Es gehen aktuell kaum Neuanträge auf Arbeitslosengeld II ein, berichtet er. „Die Wirtschaft brummt. Wer motiviert ist, kann einen Job finden.“ Hoffnungen, dass die Ukrainer zum Beispiel im Pflegebereich den Fachkräftemangel lindern könnten, dämpft Baumann aber. Das scheitere schon an den Sprachkenntnissen. Darüber hinaus sei noch völlig ungeklärt, wie Qualifikationen in Deutschland anerkannt werden würden. Eine erste Abfrage habe ergeben, dass von rund 670 ukrainischen Arbeitssuchenden 407 eine Qualifikation auf Helfer-Niveau hätten, acht als Fachkräfte, der Rest habe gar keine Qualifikation, berichtet Baumann aus seinem Landkreis.

Ein Problem bei der Vermittlung ist auch, dass es sich bei den Ukrainern meist um Mütter handelt, die keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder haben, erklärt Jan Riediger, Leiter des Weilheimer Jobcenters. Er und seine Kollegen versuchen, so viele Geflüchtete wie möglich in Integrationskursen unterzubringen. Rund 50 Ukrainer konnten sie in Weilheim bereits in neue Jobs vermitteln. Aber die wenigsten wollen dauerhaft hierbleiben, erklärt Riediger. „Viele würden lieber heute als morgen zurück.“ Einige haben gültige Arbeitsverträge in der Ukraine. „Der Beratungsaufwand ist sehr groß“, sagt Riediger. Das hat auch im Weilheimer Jobcenter Folgen. Die Mitarbeiter schieben Überstunden, teilweise arbeiten sie sogar am Samstag. Trotzdem bleiben einige andere Anträge nun erst mal ein bis zwei Wochen liegen.  kwo/mh/ast/set

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